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Was ist Musik We're not macho! – Sleaford Mods im Interview

ByteFM: Was ist Musik vom 26.07.2015

Ausgabe vom 26.07.2015: We're not macho! – Sleaford Mods im Interview

837 Aufrufe hat das Sleaford Mods-Video zu „Face To Faces“ am 30. Mai.

Im Viertelsekundentakt blinkt formatfüllend der Union Jack auf, wenn er verschwindet, laufen verhüllte Gestalten in weißen Umhängen im Quadrat wie einst die hospitalistischen Eisbären im Frankfurter Zoo. Am rechten Bildrand ploppen Wörter auf, gerade so schnell, dass man sie nicht zu Sätzen formen kann. Das Auge klammert sich an Vokabeln: Deterioration, obsolescence, colonization, ritalin, atomisation, amputation, bankrupcy, hospital, schizophrenia, pathological, abstraction… einige in Anführungszeichen: „depression“, “society”, “violence”. Nach langem Stop & Go ein Satzanfang: „We have been expropriated from…“ Den gegoogelt und gefunden: “We have been expropriated from our own language by television, from our songs by reality TV contests, from our flesh by mass pornography, from our city by the police and from our friends by wage-labor.” The Invisible Committee, The Coming Insurrection.

Das „unofficial video“ hat vermutlich ein Fan gebastelt, der die Idee hatte, die Streitschrift des Unsichtbaren Kommittees könnte für die Sleaford Mods sein, was Marx' Kommunistisches Manifest für, sagen wir, Floh De Cologne war, oder Timothy Learys „The Psychedelic Experience“ für The Grateful Dead: Der Text zur Band, der Überbau zum Werk. Bei allen Zweifeln am „Kommenden Aufstand“ beschreibt die zitierte Passage zu Enteignung & Entfremdung ganz gut, was die Sleaford Mods in ihren Songs gröber, plastischer und poetischer formulieren: “We have lost our fucking mind… fokkin' pisstakers, everyone spits at you, even your wife…”, sprechsingt Jason Williamson gewohnt rabiat im Trademark-Midlands-Slang zum Trademark-Blechdosen-Beat von Andrew Fearn.

Der Dialekt der Sleaford Mods sei Ausdruck ihrer Wut über die britische Politik, sagt Mark Fisher. "Excremental anger", bescheinigt Fisher dem Duo. Pisse und Scheiße mache sich breit in Williamsons Reimen, als könnte die physische und psychische Gülle der von Camerons Britannien Erniedrigten nicht mehr kontrolliert werden und explodiere durch das dünne Dach der "deodorised digital commercial propaganda". Die Leute seien abgestumpft von Alkohol und Anti-Depressiva, sie würden umgeleitet in Kommentarspalten, wo sich ohnmächtige Wut artikuliert. Fisher fragt: "Wer wird die Wut und die Frustration der Sleaford Mods aufgreifen? Wer kann diese Wut in ein neues politisches Projekt konvertieren?"

Exkrementell bleibt der Zorn auf „Key Markets“, Furzgeräusche inklusive, die fokkin'-Frequenz ist unvermindert hoch, ein politisches Projekt, das die Wut der Sleaford Mods für sich nutzen könnte, ist nach Camerons Wahlsieg weiter nicht in Sicht. So lange es Gründe gibt für Klassenkampf und Hass, so lange halten die Sleaford Mods an ihrem soundgewordenen ausgestreckten Mittelfinger fest, keine Zeit für ästhetische Verfeinerungen. Auch wenn man sich schon mal welche wünscht, auf Albumlänge. Interessant wird es, wenn der Bass mehr Gewicht bekommt, „Tarantula Deadly Cargo“ fängt an wie Pere Ubus „Final Solution“. Außerdem hätten sie ruhig die langsame Version von „No Ones Bothered“ auf die LP nehmen können, aber nein, die gibt's nur auf der Toursingle, ein zaghafter Schritt in Richtung Dub, Sleaford Style, plötzlich sieht man sie in einer Reihe mit Außenseiter-Großmäulern des Hardcore-Continuum: Gary Clail, Mike Skinner, Skream. In diese Richtung weisen auch diverse Nebenprojekte. Mit dem aus Nottingham stammenden Produzenten Anthrony hat Williamson als Machineyfied eine Single produziert, die den Sleaford-Sound vorsichtig technofiziert, ohne von der bewährten Rhetorik zu lassen, „Piss Business“ heißt die A-Seite. Auf dem neuen Leftfield-Album besetzt Williamson die Rage & Anger-Planstelle, die vor 22 Jahren John Lydon innehatte. The Prodigy engagieren die Sleaford Mods als Relevanz-Marker für ihren Track „Ibiza“, mit Mark Stewarts Pop Group teilen sie sich eine Split Single, große Zornesmänner unter sich. Apropos Männer. Dass die Sleaford Mods gerade in der älteren britischen – nennen wir es mal: Bass-Linken so gefragt sind, könnte damit zu tun haben, dass sie der Gegenentwurf zu einer verunsicherten Männlichkeit sind, der seit Arthur Scargills Niederlage gegen Maggie Thatcher im Bergarbeiterstreik 1985 die Identifikationsfiguren abhandengekommen sind. Auf die romantische Art wiederbeleben die Sleaford Mods den Glauben an den Lad-haft virilen Working Class Hero, der den smart-assig-neoliberalen Schnöseln da oben mal so richtig auf die Fresse haut. Das Album beginnt mit einem Stadion-Kurvenchor aus Männerstimmen: „Sleaford Mods! Sleaford Mods! Sleaford Mods!“ Wie einst im Sleafordismus.


Interview mit den Sleaford Mods aus der taz, 10.7.2015

taz: Jason Williamson, Andrew Fearn, angenommen, Sie könnten jemanden töten, ohne dafür bestraft zu werden, wen würde es treffen?

Jason Williamson: Ich würde niemanden töten. Prince Harry würde ich vielleicht wehtun.

Andrew Fearn: Nicht unbedingt wehtun, aber die Royals von diesem Planeten entfernen.

Sie sind keine Fans der Krone?

Williamson: Die Royals sind ein Stachel im Fleisch der Menschlichkeit.

Seit wann können Sie von Ihrer Musik leben?

Williamson: Ich habe letzten Oktober aufgehört zu arbeiten, Andrew arbeitete Teilzeit.

Andrew Fearn, genießen Sie Ihre Rolle auf der Bühne, wo Sie praktisch nichts tun, außer auf einen Knopf drücken, um den nächsten Track zu starten und eine Dose Bier zu öffnen?

Fearn: Absolut, ich repräsentiere die Musik. Ich habe lange in Bands gespielt, Schlagzeug und Gitarre, aber jetzt fühlt sich das richtig an.

Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, auf der Bühne so zu tun, als hätten Sie was zu tun?

Fearn: Nein, überhaupt nicht. Ursprünglich hatten wir die Idee, dass ich gar nicht mit auf die Bühne gehe. Ich bin glücklich mit dieser Konstellation, im HipHop und Dance ist das ganz normal, nur bei Rockbands erwarten die Leute Live-Action. Es ist eine modernere Performance.

Auch eine bewusste Abgrenzung gegenüber dem prätentiösen Auftreten von Rockbands?

Fearn: Nicht direkt, aber es entspricht unserer Haltung gegenüber der Rockszene, die doch sehr stagniert und alte Musikstile immer wieder aufs Neue erbricht. Wir wollten nicht um jeden Preis alles anders machen, aber wenn Computerspiele und andere Medien wichtiger sind als Rockmusik, kann man nicht einfach so weitermachen. Umso überraschter sind wir jetzt über unsere Popularität.

Sind Sie in Deutschland populärer als in England?

Williamson: Nein, wir sind schon ziemlich groß in England, aber wir werden auch verhöhnt als „alte Männer, die nur rumbrüllen“. Viele jüngere Leute mögen uns, aber manche halten uns für Koksnasen.

Fearn: Oder behaupten, Jason sei ein Säufer. Was soll das? Mein Gott, es gab Leute wie Shane McGowan von den Pogues, der ging sternhagelvoll auf die Bühne und wurde dennoch respektiert. Was ist mit der Musik passiert? Sie ist so hygienisch geworden, so sauber, es gibt keine Charakterköpfe mehr.

Wollen Sie diese Lücke schließen? Sind die Sleaford Mods der ersehnte Gegenentwurf zu einer verunsicherten Männlichkeit, der seit der Niederlage des Gewerkschaftsführers Arthur Scargill gegen Margaret Thatcher im Bergarbeiterstreik 1985 die Identifikationsfiguren abhandengekommen sind? Verkörpern Sie den Lad-haft virilen Working-Class-Hero, der den neoliberalen Schnöseln da oben mal so richtig auf die Fresse haut?

Fearn: Offenbar erkennen die Leute in uns etwas, mit dem sie sich identifizieren können, es kommen auch viele Frauen zu den Konzerten, die uns so was sagen.

Williamson: Ja, es gibt nicht viele bodenständige Bands, wir sind eine. Wir sprechen in unserem Midlands-Akzent, und der ganze Auftritt ist repräsentativ für die Unterdrückten.

Der britische Kritiker Mark Fisher schrieb, Ihr Midlands-Akzent, der in Großbritannien ungefähr so angesehen ist wie in Deutschland das Sächsische, sei Ausdruck von Klassenbewusstsein und Wut über die britische Politik. Stimmt das?

Williamson: Ja, das stimmt schon.

In Ihrem Song „Jolly Fucker“ geht es um „working class rage“. Gibt es überhaupt noch eine Arbeiterklasse?

Williamson: Ja, aber ich würde eher von Unterklasse sprechen. Es gibt diejenigen, die in Fabriken, Lagerhallen oder Callcentern die Drecksarbeit machen, und dann die Facharbeiter, die mehr verdienen. Ihr Status in der Klassengesellschaft verbessert sich, aber wenn sie ihre humanistische Haltung beibehalten, die ich mit der Arbeiterklasse verbinde, dann spielt es keine große Rolle, wo sie auf der sozialen Leiter stehen.

Ein Kritiker beschrieb Ihre Musik als „fistfighting Post-Punk Bass“. Klingt gut, aber ist das nicht auch das Problem: mit bloßen Fäusten wüten gegen eine hoch funktionale Armee aus modernen Maschinen?

Williamson: Ja, aber es gibt kaum Antworten auf die Krisen und wenn, dann kommen sie von Intellektuellen. Für die Massen zu sprechen ist immer problematisch. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem die Architekten der Kontrolle uns eingewickelt haben. Und es ist eine verzweifelte Zeit, es gibt das massive Gefühl, dass man etwas tun muss, dass man attackieren muss. Das sagt unsere Musik, sie hat eine aggressive Haltung.

Haben Sie nicht manchmal genug davon, als Stimme der Deklassierten bezeichnet zu werden?

Williamson: Im Gegenteil, es ist eine große Ehre, wenn man uns so sieht.

Jason Williamson, wie würden Sie Ihren Vokal-Stil charakterisieren? Sprechen Sie eher oder singen Sie?

Williamson: Ranti n ’ & Shoutin’ (schimpfen und schreien), aber eingekleidet in Melodien.

Ihre Vorbilder?

Williamson: Raekwon und Inspectah Deck, zwei der Rapper vom Wu-Tang-Clan und natürlich der Oldschool-Rapper Kool G Rap. Aber auch Nigel Lewis von der Psychobilly-Band the Meteors, ein bisschen Liam Gallagher.

Auf Ihrem neuen Album „Key Markets“ herrscht wieder große Fluch-Dichte, die Frequenz von „fokkin“, „piss“ und „shit“ bleibt hoch. Mark Fisher hat das „excremental anger“ genannt, können Sie damit was anfangen?

Williamson: Schon, in gewisser Weise ist es fürchterliche Musik, keine Musik, die man still genießt, manchmal ist sie furchteinflößend.

Alles beim Alten also auf „Key Markets“? Wo bleibt der musikalische Fortschritt?

Williamson: Wir haben keinen Masterplan, entweder ein Song ist gut oder nicht. Wenn wir eine ganz neue Idee für unsere Musik hätten, dann wäre das ein bewusster Schritt in eine andere Richtung, aber so war es nicht.

Den Song „No on e ’s bothered“ gibt es in einer langsamen Fassung auf der letzten Toursingle, warum haben Sie ihn für das Album als schnelle Version gewählt?

Williamson: Ich fand die langsame Fassung passte nicht zum Rest des Albums.

Das ist durchweg schneller. „No on e ’s bothered“ in Zeitlupe wäre ein kleiner Schritt weg vom Trademark Sound gewesen, vielleicht in Richtung Dub Poetry, Sleaford Style, in der Tradition von britischen Außenseiter-Großmäulern: Gary Clail, Mike Skinner, Skream. Sehen Sie sich da?

Fearn: Ja, Gary Clail auf On-U-Sound, definitiv. Wir werden immer nach politischer Musik gefragt und niemand denkt dabei an On-U-Sound, das war eine ganze Bewegung politischer Musik.

In letzter Zeit haben Sie interessante Kollaborationen gemacht: Auf dem neuen Album von Leftfield besetzt Jason Williamson die Rage & Anger-Planstelle, die vor 22 Jahren John Lydon als Gastsänger innehatte. The Prodigy engagieren die Sleaford Mods als Relevanz-Marker für ihren Track „Ibiza“, mit Mark Stewarts Pop Group teilen Sie sich eine Split-Single. Große Zornesmänner unter sich?

Williamson: Ich bin nicht so vertraut mit der Pop Group, aber ich sehe natürlich Parallelen, sie sind eine politisch motivierte Band.

Und die aggressive Haltung?

Williamson: Ja, klar, aber die sind viel mehr funky als wir.

Fearn: Wir sind da in guter Gesellschaft. Mit der Pop Group und den Specials verbindet uns mehr als mit Leftfield und Prodigy. Die Specials haben uns eingeladen mit ihnen zu touren und das hat auf Anhieb gepasst – ihr Antirassismus, die antihomophobe Haltung.

Apropos antihomophob, Andrew Fearn, ich habe gelesen, dass Sie in einer schwulen Beziehung leben. Hat Ihre Homosexualität Einfluss auf die Präsentation von Männlichkeit bei den Sleaford Mods?

Fearn: Hm, vielleicht auf eine verdrehte Art, weil die Sleaford Mods kein Macho-Ding...

Williamson: We're not Macho!

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Playlist

1.  Sleaford Mods / Live Tonight
Key Markets / Harbinger / Cargo
2.  Sleaford Mods / Giddy On The Ciggies
Key Markets / Harbinger / Cargo
3.  Sleaford Mods / Cunt Make It Up
Key Markets / Harbinger / Cargo
4.  Wu-Tang Clan / Can It Be All So Simple
Enter The 36th Chamber / MCA
5.  The Meteors / Radioactive Kid
Radioactive Kid / EMI
6.  Sleaford Mods / Face To Faces
Key Markets / Harbinger / Cargo
7.  Sleaford Mods / Tarantula Deadly Cargo
Key Markets / Harbinger / Cargo
8.  Pere Ubu / Final Solution
Final Solution / Rough Trade
9.  Gary Clail / On-U Soundsystem / Privatise The Air
End Of The Century Party / On-U Sound
10.  Sleaford Mods / No Oné’s Bothered
No Oné’s Bothered / Harbinger / Cargo
11.  Shalamar / A Night To Remember
A Night To Remember / CBS
12.  Sleaford Mods / Quiet Streets
Key Markets / Harbinger / Cargo
13.  Leftfield / Head And Shoulders (Ft. Sleaford Mods)
Head And Shoulders / Virgin