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Kramladen Ray Davies – zum 80. Geburtstag

ByteFM: Kramladen vom 20.06.2024

Ausgabe vom 20.06.2024: Ray Davies – zum 80. Geburtstag

Die letzte Eintragung auf seiner Web-Seite in der Rubrik „Latest News“ datiert vom August 2019. Doch im November letzten Jahres gab Ray Davies dem New Musical Express ein Interview, sprach darin von neuen Aktivitäten, von etwa 20 unfertigen Songs, die er zum Teil noch ausarbeiten wolle und deutete an, dass eine neue Tournee, eventuell sogar eine Reunion der Kinks nicht ausgeschlossen die. Auch ein Wiederaufleben der Zusammenarbeit mit seinem jüngeren Bruder Dave Davies sei nach den langen Jahren Streit und Zwistigkeit denkbar. Man könne wieder vernünftig miteinander reden – auch ohne Anwälte. Ein Treffen sei in Kürze geplant.

Doch tatsächlich ist bislang nichts geschehen, beziehungsweise nichts publik geworden. Auch zu seinem 80. Geburtstag bleiben viele Fragen offen, wie es weitergeht und mit welchen Musikprojekten noch zu rechnen ist. Sein bis dato letztes Soloprojekt ist die zweiteilige Album-Serie „Americana“ (2017) / „Our Country: Americana Act 2“ (2018), basierend auf seinem autobiografischen Buch „Americana: The Kinks, the Road and the Perfect Riff“ (2013). Buch und CDs befassen sich mit seiner „lebenslangen Faszination für die Musik und Kultur der Vereinigten Staaten und mit seinen Erfahrungen, die er auf Tourneen und im Leben dort gemacht hat“ (Buchankündigung). Die erste USA-Tournee der Kinks war 1965 im Debakel geendet. Auseinandersetzungen mit Konzertveranstaltern und der Musiker-Gewerkschaft hatten zu einem knapp vierjährigen Auftrittsverbot in den USA geführt. Im Buch und Musikprojekt „Americana versucht Davies, seine lange Hassliebe zu dem Land zu verstehen, das ihn sowohl inspiriert als auch frustriert hat und in dem er bei einer Schießerei auf der Straße fast sein Leben verloren hätte“ (Buch-Klappentext).

2004 war er in New Orleans auf offener Straße von einem Straßenräuber angeschossen worden, was ihn für eine Weile aus der Bahn warf. Im gleichen Jahr erlitt sein Bruder Dave einen schweren Schlaganfall, von dem er sich nur langsam erholte. Die Erfahrung dieser lebensbedrohlichen Ereignisse führte dazu, dass sich die ewig zerstrittenen Brüder Ray und Dave Davies allmählich wieder annäherten. Bis heute blieb der Burgfrieden allerdings brüchig.


Ende 1963 hatten die beiden Brüder die Band The Kinks gegründet. Ray (*21.06.1944) war der Hauptsongschreiber und Sänger, Dave *03.02.1947) profilierte sich als Leadgitarrist und spielte z.B. das spektakuläre Solo im ersten Nr.1-Hit der Kinks „You Really Got Me“, veröffentlicht am 4. August 1964, eine Vorwegnahme des späteren Hard & Heavy Rock, geschrieben von Ray Davies. Ihm gelangen in der Folgezeit Welthits mit Songs wie „Tired Of Waiting For You“ (1965), „Sunny Afternoon“ (1966), „Waterloo Sunset“ (1967) oder „Lola“ (1970). Als eine Art Chronist mit genauer Beobachtungsgabe und ironischem Unterton beschrieb Ray Davies in seinen Songtexten das Alltagsleben der englischen Unterschicht, von der Ausweglosigkeit in der sozialen und wirtschaftlichen Sackgasse im Song „Dead End Street“ bis zur ebenso liebevollen wie satirischen Schilderung des englischen Spießers in „Autumn Almanac“ („Ich mag meinen Fußball am Samstag. Sonntags gibt's Roastbeef … Dies ist meine Straße und ich werde sie nie verlassen“).

Aber auch die Konsum-Junkies seiner Generation bekamen ihr Fett ab in Songs wie „Dedicated Follower Of Fashion“ und „Dandy“. Ihre Plattenfirma vermarktete die Kinks als Singles-Band, obwohl Ray Davies schon früh das Album als eigenständige Kunstform entdeckte („Face To Face“, 1966) und eines der ersten Konzeptalben schrieb „The Village Green Preservation Society“ (1968), gefolgt von der Rockoper „Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire)“, veröffentlicht im Oktober 1969 – beide inhaltlich brillant, aber kommerziell nur mäßig erfolgreich. Auch das Meisterwerk „Muswell Hillbillies“ (1971) ging mehr oder weniger unter – wie auch die Folgealben der Kinks, obwohl mit „Preservation Act 1 & 2“ (1973/74) und „Soap Opera“ (1975) weitere ambitionierte und gelungene Konzeptalben veröffentlicht wurden. Erst nach dem stilistischen Wechsel zu kraftvollerem Rock und kompakten Songs mit Alben wie „Sleepwalker“ (1977), „Low Budget“ (1979) und dem Album von 1981 „Give The People What The Want“, das schon im Titel ausdrückte, dass sich die Kinks auf Mainstream-Kurs manövriert hatten, kam der Erfolg in Maßen zurück. Als Liveband konnten die Kinks für eine gewisse Zeit von Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre so manches Stadion vor allem in den USA füllen.


Mit „Phobia“ erschien 1993 das bis dato letzte Album der Kinks. Offiziell wurde die Band nie aufgelöst. Im Jahr darauf erschien mit „X-Ray“ das erste Buch von Ray Davies, eine viel gelobte „semifiktionale Autobiografie“, die als Grundlage diente für seine Konzerttournee „Storyteller“, bei der er – nur von einem Gitarristen begleitet ¬– aus seinen Memoiren las, einige seiner großen Kinks-Songs unplugged spielte und dazu passende Anekdoten erzählte. Ausschnitte aus dem Mitschnitt erschienen 1998 auf seinem ersten Soloalbum „The Storyteller“. Zwischen 1994 und 1997, als der Hype um den Brit Pop zwischen Oasis und Blur Schlagzeilen machte, wurde Ray Davies die Ehre zuteil, als Vaterfigur des Britpop gelobt zu werden.
Wenige Wochen nach seiner Schussverletzung während des Raubüberfalls in New Orleans wurde Ray Davies von der britischen Königin zum „Commander Of The British Empire“ ernannt, was der Autor der Rockoper „Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire)“ mit milder Ironie dankend entgegennahm. 2017 folgte dann der Ritterschlag durch Prince Charles. Der nun in den Adelsstand erhobene Ray Davies darf sich seitdem „Sir“ nennen – wie auch seine Rockstarkollegen Paul McCartney und Mick Jagger.

Was seine Qualitäten als Songschreiber angeht, zählt er schon seit den sechziger Jahren zum britischen Rock-Adel. Dafür sollte ihm noch ein Audio-Denkmal gesetzt werden: Nach den ausgezeichneten Soloalben „Other People‘s Lives“ (2006) und „Working Man’s Café“ (2007) folgte das All Star-Album „See My Friends“ (2010), in dem Ray Davies Neuaufnahmen seiner großen Songs aus der Kinks-Ära präsentierte – eingespielt mit der Unterstützung prominenter Kollegen wie Bruce Springsteen, Metallica, Jon Bon Jovi, Lucinda Williams, Mumford & Sons etc..
Der Kramladen würdigt einen der bedeutendsten Songschreiber der Popgeschichte aus Anlass seines 80. Geburtstags.