Shackleton und Strawalde live im Berliner Club OHM

Foto von Strawalde beim MalenStrawalde bei der Arbeit im OHM (Foto: Camille Blake)

„Ich blamiere mich sowieso, aber das ist mir egal, ich bin schließlich über 80 und ihr könntet alle meine Enkel sein. Ich weiß nie, was passiert, wenn ich ein Bild male, also bin ich genauso gespannt wie ihr“. Selten bescheidene Worte, die man genauso selten in Berliner Clubs hört. Sie stammen vom Maler und Regisseur Jürgen Böttcher aka Strawalde, der vor Kurzem im Rahmen des New Codes Festivals im Berliner Club OHM das Projekt „Lapidar Lappen Da Lappen Dort Piano Fort(e)“ mit dem enigmatischen Musikproduzenten Shackleton vorstellte.

Bevor es losgeht, erzählt Böttcher, Jahrgang 1931, der hinter einer großen, weißen Leinwand vor rund 150 Clubbesuchern steht, von seinen künstlerischen Beweggründen. Er fühle sich geehrt, hier zu sein und würde gerne noch etwas loswerden. Seine größte Inspiration war die frühe Erfahrung mit dem Tod. Als Jugendlicher in einer ostdeutschen Stadt musste er kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Auftrag der sowjetischen Armee zusammen mit seinen Freunden Leichen zählen. Das hat ihn bis heute geprägt.

In den 90er-Jahren habe er dann von dieser merkwürdigen Technomusik gehört (kurzes Gelächter im Raum), aber eigentlich komme er ja vom Jazz. Über seinen Sohn, seit langem DJ in Berlin, lernte er dann Sam Shackleton kennen, dessen eigenwillige Musik zwischen Dubstep, Krautrock und abstraktem Techno ihn sofort begeisterte.

Im Club ist es still geworden. Das zur Leinwand gerichtete Publikum steht oder sitzt andächtig auf dem Boden, während Shackleton seinen Synthesizern subtile Texturen entlockt, deren Klangfarbe sich langsam verändert. Währenddessen trägt der ehemalige DDR-Oppositionelle Böttcher mit entschlossenen Gesten abstrakte Formen in den drei von ihm vorab gewählten Farben auf: ein tiefes Schwarz, ein helles Blau und ein außerweltliches Rot. Seine Bewegungen sind jedoch nicht mit der Musik synchronisiert. Generell ist es schwierig, beidem, den beschwingten Pinselstrichen Böttchers und den selbstvergessenen Klangwelten Shackletons zu folgen.

Dennoch ähneln sich die beiden Ansätze, vor allem in ihrer Reduktion des künstlerischen Ausdrucks. So verwendet Shackleton analog zu den drei Farben Böttchers eine streng limitierte Anzahl von Sounds, mit denen er wie Böttcher ein abstraktes Gesamtgebilde formt.

So ist es auch nur auf den ersten Blick überraschend, dass die beiden auf künstlerischer Ebene zusammenfanden. Denn sowohl Strawalde als auch Shackleton verarbeiten in ihrer Kunst düstere Welten zwischen Abstraktion und Figuration. Während Strawalde in meist dunklen Farben abstrahierte Wälder schafft, sind die Tracks von Shackleton musikgewordene Reisen in das kollektive Unbewusstsein: Genährt von den düsteren Klangtexturen des frühen Dubstep, die die Grenzen des Physikalischen dehnen, und den polyrhythmischen Exzessen türkischer Saz-Musik, entfalten sie vor allem eine hypnotische Wirkung.

Das körperliche Musikerlebnis blieb an diesem Abend auch aufgrund der visuellen Reizüberflutung weitgehend aus. Dafür jedoch bleibt mehr zurück als eine flüchtige Erinnerung, sondern ein auf Leinwand gebannter Moment, der sich nicht wiederholen lässt.

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