Neue Platten: Andy Stott – „Faith In Strangers“

Cover des Albums Faith In Strangers von Andy StottAndy Stott – „Faith In Strangers“ (Modern Love)

9,4

Elektronische Musik ist immer dann besonders interessant, wenn sie aus leblosen Klängen besteht, die keine Entsprechung in der realen Welt haben. Genauso faszinierend sind jedoch auch Sounds, die klingen, als führten sie ein autarkes, eigenständiges Leben. Die Musik auf dem neuen Album „Faith In Strangers“ des britischen Industrial-Techno-Produzenten Andy Stott befindet sich irgendwo dazwischen. Der Opener „Time Away“ etwa beginnt mit einem Drone, der sich schon bald mit anderen, in Halbtonabständen stehenden Tönen überlagert und einen eindringlichen Spannungsbogen aufbaut. Diese Drones stammen jedoch nicht vom Synthesizer, sondern von einem Euphonium, einem Blechblasinstrument, das einer Tuba ähnelt und von der britischen Orchestermusikerin Kim Holly Thorpe eingespielt wurde. Wenn sich dann zum Schluss des Tracks, wie gerade jetzt, eine echte vorbeiziehende Polizeisirene hineinschleicht und das Gehörte in einen dramatisch-cineastischen Moment überhöht, zerfließen die Grenzen zwischen physischer und digitaler Realität.

Wie schon auf dem Vorgängeralbum „Luxury Problems“ ist die Musik des aus Manchester stammenden Produzenten Stott durchzogen von einer entrückt-düsteren Klanglandschaft. Geblieben ist auch die Zusammenarbeit mit der Opernsängerin Alison Skidmore. Ihre Stimme ist auch auf dem aktuellen Werk ein eindringlicher Kontrapunkt zum weitgehend atonalen Sounddesign – wie ein verformter Farbspritzer auf einem monochromen Gemälde.

Eine deutliche Weiterentwicklung zu Stotts vorherigen Werken sind die rhythmischen Experimente, die sich von der geraden Bassdrum weg und hin zu mehr gebrochenen Rhythmen bewegen, aber auch die allgegenwärtige elektronische Verzerrung, die sich in den krachigen Percussions, den atonalen Texturen und den tonalen Melodien wiederfindet – eine Art Leitmotiv des Albums.

So klingt der Track „Damage“ wie eine musikalische Dekonstruktion eines Trap-Beats, während das schizophrene „Violence“ mit dem ständigen Wechseln zwischen dem epischen Acapella-Gesang Skidmores und dem von einem kaputten Synthesizermotiv getragenen Beat wie ein radikal heruntergepitchter Jungle-Track klingt, der durch einen defekten Gitarrenverzerrer geschickt wurde.

Perfektioniert hat Stott dieses Call-and-Response-Verfahren zwischen Harmonie und Zerstörung im Track „No Surrender“, bei dem eine elegische Orgel von einem kurzen Moment der Stille unterbrochen wird, bevor ein genauso feindseliger wie groovender Breakbeat einsetzt. Mit Musik starke Kontraste und Bilder zu erzeugen, mag nichts Neues sein, doch nur die wenigsten haben das im Bereich Clubmusik so perfektioniert wie Andy Stott. „Faith In Strangers“ ist ein guter Beweis dafür, dass auch 2014 Musik noch nach vorne schauen kann.

Label: Modern Love

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