Dntel – "Aimlessness"

Dntel - AimlessnessVÖ: 01.06.2012
Web: Dntel bei SoundCloud
Label: Pampa Records

Schafft man es, über Dntel zu schreiben, ohne dabei The Postal Service zu erwähnen? Ups.

Anfang des vergangenen Jahrzehnts erschien ein Album, das die Glitch-Ästhetik der 90er-Jahre in eine völlig neue Richtung definierte. Eine Ansammlung aufgebrochener Popsongs, die viel mehr in ihrer vertikalen als in ihrer horizontalen Struktur überraschten. Bandmitglied Jimmy Tamborellos (alias Dntel) eigentliche Leistung lag gar nicht in der bloßen Innovation und Inspiration, die seine Musik damals versprühte, sondern darin, scheinbare Paradoxien in Einklang zu bringen, Digitales warm klingen zu lassen und mit seinen verfremdeten Versätzen auf emotionaler Ebene zu berühren. Der schleppende Drumloop, diese zuckersüß schrägen Synth-Melodien und dann das Glockenspiel. Man kann förmlich spüren, wie sehr Tamborello den Nerv der damals noch immer orientierungslos wirkenden Milleniumkids getroffen haben muss. Der Zustand der Verwirrung gegen Ende der 80er-Jahre, Folge der zunehmenden Abkopplung des Wirtschaftsprozesses von der Gesellschaft, die ihn eigentlich prägen sollte, sorgte paradoxerweise dafür, dass sich plötzlich eine ganze Generation als Außenseiter fühlte. Dieses Gefühl wurde als Grunge bekannt und was folgte, war ein Jahrzehnt voller emotional geprägter Rockmusik, die ebenjene Perspektivlosigkeit vertont hat, aber letztlich überhaupt nichts an diesem Zustand ändern konnte. Musik ohne Perspektive. Nur unter Berücksichtigung dieser Rückwärtsgewandtheit kann man verstehen, welche Rolle Dntels Album „Life Is Full Of Possibilities“ neben Radioheads „Kid A“ wirklich zukam. Die progressiven Strömungen der elektronischen Musik – allen voran ist hier natürlich das Label Warp zu nennen – waren bestenfalls Nische und erreichten nur eine Minderheit. „Kid A“ änderte dies zwar, galt aber noch als verkopfter, ambitionierter Eisbrocken. Und jetzt fragt plötzlich jemand „How can you love me if you don’t love yourself?“ – immer wieder. „(This Is) The Dream Of Evan And Chan“ – das verrauschte Überstück mit Psyence-Fiction-Drummachine und den typischen Sehnsuchtsvocals von Death-Cab-For-Cutie-Mastermind Ben Gibbard brachte die große Aufmerksamkeit für Dntel. Die Folgen sind bekannt.

Dass Tamborello keine Angst vor Experimenten hat, zeigt nicht nur sein bisheriger Katalog, sondern auch die Offenheit für Kollaborationen jeglicher Art, sei es für sein Hauptprojekt Dntel oder für eines der zahlreichen Nebenprojekte (Figurine, die äußerst beliebte Radioshow „Dying Songs“ und allen voran eben The Postal Service). Im letzten Jahr bewies er die Abwesenheit jedweder Berührungsängste durch die Veröffentlichung einer EP mit großartigen Enya-Remixes. Genau diese EP erregte dann auch die Aufmerksamkeit von DJ Koze, der es sich mit seinem Label Pampa zum Ziel gesetzt hat, ambitionierte elektronische Musik zu veröffentlichen. Rechtliche Probleme verzögerten die Zusammenarbeit allerdings – bis jetzt.

„A home for house and techno tunes that will conquer hearts and take root there forever, music that’s brave and not afraid to break with convention”, das sagen die Betreiber, namentlich DJ Koze und Marcus Fink selbst über ihr relativ junges Label Pampa und haben sich mit dieser Vision bereits einen exzellenten Ruf erarbeitet. Letztes Jahr veröffentlichten sie eines der besten Alben des Jahres: Thora Vukk, des Jenaer Produzenten Gabor Schablitzki aka Robag Whrume. „I thought you might like to come home“, lässt Tamborello Will Wiesenfeld (Baths) in „Still“ singen. Man kann, während man Tamborellos aktuelles Album „Aimlessness“ hört, das Gefühl gewinnen, er habe ein Zuhause gefunden. Genau der Rückzugsort, der ihm die Sicherheit, aber auch die Inspiration gibt, seine Gefühle in das Jetzt zu transportieren. „Aimlessness“ klingt aktuell. Und es klingt überraschend europäisch. Schreiben wir DJ Koze und Pampa nun einen Einfluss auf Tamborellos musikalischen Schaffensprozess zu, lässt sich dieser in „Aimlessness“ entdecken. Es verleugnet seine Wurzeln nicht, hier ist Ambient, hier ist Glitch-Samplework, aber alles wird ein wenig fester geschnürt.

Deshalb ist oben genanntes „Thora Vukk“ vielleicht gar nicht mal die verkehrteste Referenz. „Aimlessness“ klingt ein wenig so, als würden Schablitzkis Minimal-beeinflusste Hauptsongs und seine Ambient-beeinflussten Interludes zusammen passieren. Immer schön, oft treibend, manchmal sogar tanzbar. Insgesamt ist der Sound zwar dichter geworden, aber die grundsätzliche Offenheit, die schon „Life Is Full Of Possibilities“ so schön gemacht hat, herrscht auch in „Aimlessness“ vor. Geradezu spürbar ist er, der Raum, den die Musik bekommt, sich trotz der – pardon – Vielschichtigkeit zu entfalten. Was auf seinem skizzenhaften Meisterwerk von 2001 immer wahrzunehmen war, ist nun zentrale Eigenschaft geworden: die Ausgefeiltheit der Arrangements, die unglaubliche Arbeit, das Abwägen, aber auch das Weglassen. Eine weitere Parallele zu Schablitzki ist das Faible für die Wärme, für analog anmutende Samples, Piano-Loops und den speziellen Einsatz der Field-Recordings; auf die Spitze getrieben im abschließenden „Paper Landscape“, einer freien Klangcollage auf Popol Vuhs herzzerreißenden Fitzcarraldo-Beitrag „Engel der Luft“. Passend, dass man am Ende dann irgendwie noch an Klaus Kinski denkt. Ein immer wieder als sanftmütig beschriebener Charakter, ein einmaliger Künstler, aber auch ein von Tobsuchtsanfällen geplagter, krankhafter Egomane. Eine höchst paradoxe Persönlichkeit. Ein Mensch.

In Zeiten der fortgeschrittenen Autonomisierung der Musikproduktion, in denen Jedermann auf Multispur-Sequencer zurückgreifen kann und dann nicht einmal sein Bett verlassen muss, um an Field-Recordings und Samples jeder Art zu kommen, in denen jede Idee sofort verarbeitet wird. In Zeiten von Skrillex, von Kompressions- und Loundness-War, von 4-To-The-Floor-Club-Konformität, von freiem Zugang zu Information, von „Mehr ist mehr“, „ich will alles“ und „ich will immer“, von sinkenden Aufmerksamkeitsspannen. In diesen Zeiten ist es schön, ein Album zu haben wie dieses. Eines, das Strukturen aufbricht, wirkliche Dynamik besitzt und dabei trotzdem so melodisch, so warm, so schön klingt. Dieses Album ist keine widersprüchliche Herausforderung, sondern eine würdigende Bereicherung.

Das ByteFM Album der Woche.

Jeden Tag von Montag bis Freitag spielen wir im ByteFM Magazin zwischen 10 und 12 Uhr einen Song aus unserem Album der Woche. Ebenso im ByteFM Magazin am Nachmittag zwischen 15 und 17 Uhr und im ByteFM Magazin am Abend ab 19 Uhr. Die ausführliche Hörprobe folgt am Freitag ab 13 Uhr in Neuland, der Sendung mit den neuen Platten.

Unter allen Freunden von ByteFM verlosen wir einige Exemplare des Albums. Wer gewinnen möchte, schreibt eine E-Mail mit dem Betreff „Dntel“ und seiner/ihrer vollständigen Postanschrift an radio@byte.fm.

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