Charlemagne Palestine läutet die Transmediale ein

Von christiantjaben, 2. Februar 2010

Die bekannteste Aufnahme von Charlemagne Palestine heißt „Strumming Music“ und ist ein 52minütiges Werk für einen Bösendorfer Flügel, dessen zusätzliche neun Basstöne dem Komponisten erst zu jenen Oberton-Klängen verhelfen, um die es ihm bei diesem Stück geht.

Das „Strumming“ des Flügels nennt Palestine auch eine „Flamenco-Technik“ und bearbeitet tatsächlich die Tasten des Pianos bei gleichzeitig permanent getretenem Fortepedal so, dass sich der Flügel innerhalb der Spielzeit des Stückes verstimmt und nicht selten die Hände des Darbietenden zu bluten beginnen. Das klangliche Ergebnis ist überaus reichhaltig und weit entfernt vom cleanen Klischee der Minimal Music á la Phillip Glass und Co..

Charlemagne Palestine nimmt in seiner Arbeit weniger Bezug zu den offensichtlichen Zeitgenossen, sondern beruft sich lieber aus Impressionisten wie Claude Debussy oder auf bildende Künstler wie Mark Rothko und Jackson Pollock. Er fühle sich einsam in der westlichen zeitgenössischen Musikszene. Sie sei sehr kalt, analytisch und daher nicht existentiell, sagte er mal.
Der oftmals atheistischen Grundhaltung dieser Tradition möchte er eine Art religiöses Ritual entgegensetzen, das allerdings außerhalb der religiösen Sphäre stattfinden solle. Und so ist Palestine auch für den performativen Teil seiner Musik bekannt, sei es, dass er sich früher bei Aufführungen von Vokalstücken gegen Wände und auf dem Boden schmiss oder sich bei manchen Konzerten mit einer Dekoration aus Kerzen, Teddybären und anderen Dingen umgibt.

Der störrische Musiker hatte sich Ende der 1970er entnervt vom Musikbetrieb ab- und der bildenden Kunst zugewandt. Musiker wie Lee Renaldo von Sonic Youth oder Glenn Branca sorgten dafür, dass er in den 1980er nicht ganz in Vergessenheit geriet.
Als er in den 1990ern wieder zur Musik zurückkehrte, fand er eine neue Musiklandschaft vor. „Als ich zurückkam, hatte die neue Generation einige meiner musikalischen Elemente genommen und daraus eine neue Sprache geschaffen. Für sie war das eine ganz natürlich Sprache und sie wussten, was ich machte. Für diese Leute kam die Idee des Klangkontinuums vom Synthesizer und heute kann man diese Leute in vielen Clubs, im Radio und sogar im Auto hören!“

Neben Zusammenarbeiten mit Musikern wie Scanner oder Pan Sonic hat Palestine seither auch wieder an zwei Instrumenten gearbeitet, mit denen er bereits in den 1960ern gearbeitet hatte. Damals hatte er in der St. Thomas Church nahe dem Museum Of Modern Art in New York das Carillon und dafür komponierte Musik von John Cage und Oliver Messiaen gespielt. Und auch das Orgelkonzert, das Charlemagne Palestine am Freitag in Berlin gibt, steht in einer langen Tradition von Orgelkonzerten des Musikers. Mal sehen, ob er unter dem Sonnenauge im französischen Dom wie früher vier Stunden lang spielen wird.

Seit letzter Woche läuft bereits CTM.10. Mit der heutigen Opening Gala am Carillon (Eintritt frei) beginnt das teilweise gemeinsam veranstaltete Programm von Clubtransmediale und Transmediale. Weitere Veranstaltungen unter anderem mit Ryoji Ikeda und Raster Noton. Das ganze Programm gibt es hier und hier.

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