PJ Harvey wird 40. Ein Porträt

Ein Artikel, vor einiger Zeit in einer englischsprachigen Zeitung erschienen, beginnt sinngemäß so: PJ Harvey lädt zum Interviewtermin in die Dorfkneipe. Aber da die Rockmusikerin noch nicht da ist und es sich um einen urigen englischen Pub handelt, lässt sich der Reporter auf ein Schwätzchen mit dem Barmann ein. Harvey käme manchmal vorbei, meint der, sie sei eine richtig nette, aufgeschlossene und lebensbejahende Frau. Erst stutzt der Reporter ungläubig, dann denkt er: Dieser Typ hat noch nie auch nur einen Song von Polly Jean Harvey gehört.

Das Dilemma ist nicht neu. Zu gern möchte der Hörer glauben, was ihm da aus den Lautsprechern entgegendröhnt, es auf die Person hinter der Stimme beziehen, als ob es ihr wahres Schicksal sei, an dem sie ihn teilhaben lässt. Nicht das eines fiktionalen, lyrischen Ichs. Für Harveys Lebensgeschichte würde das bedeuten: Prostitution, Abtreibung, körperliche Gewalt, sexuelle Übergriffe, den ein oder anderen Mord, kleine, kurze Momente des Verliebtseins, Kummer, und schließlich, Suizid.

Nun, die leichtgewichtige Sängerin ist glücklicherweise wohlauf, hat nur einen ausgeprägten Hang zur dunklen Seite des Lebens, ein Faible für Gruselgeschichten – und ein ernstes Anliegen. 1992 erscheint das Debütalbum „Dry“. Das Cover zeigt eine Nahaufnahme ihrer ausgetrockneten und zerfetzten Lippen, im Inlay, gleich einem Phallus, ein ausgefahrener Lippenstift. Harvey singt zu rauen Gitarrenriffs: „Must be a way I can dress to please him.“ Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, Begierde und Ausnutzung – solche Lyrics ließen Harvey zur Rockikone einer ganzen Generation von jungen Frauen der 1990er avancieren. Die Funktion eines Sprachrohrs nahm sie allerdings schon aufgrund ihrer Storytelling-Technik nie ein. Die Botschaft steht, wenn, zwischen den Zeilen. Auf „Is this desire?“, 1998 erschienen, spiegelt Harvey die Lebenswelten (zumeist) weiblicher, gescheiterter Existenzen.

Es ist die Intensität, mit der die englische Mercury-Prize-Gewinnerin ihre Songs intoniert, die ihre desperaten Charaktere zum Leben erweckt. Harvey verfügt über eine überragende Stimme, die sich ebenso für dreckige Rocksongs als auch für fragile Klavierkompositionen eignet. Dabei ist sie nicht die größte Gitarristin, geschweige denn Pianistin. Gleichzeitig, ist man sich sicher, könnte niemand anderes als sie die Schauergeschichten so eindringlich vortragen.

Vielleicht ist PJ Harvey die moderne Bänkelsängerin. Statt einer Drehorgel bedient sie die E-Gitarre, statt auf Marktplätzen singt sie auf Konzertbühnen, vor denen ein Publikum ausgelassen tanzt oder andächtig lauscht.

Zurückgezogen und alleine, in einem Haus ohne jeden Luxus, an der Felsenküste von Dorset im südwestlichen England lebt PJ Harvey. „These chalk hills will rot my bones“, heißt es in kruder Heimatverbundenheit in einem der neueren Songs. Wieder ist man versucht, hierin die echte Polly Jean, nicht die Künstlerin, zu sehen. Heute wird Harvey 40 Jahre alt. Sie ist eine der wichtigsten Rockmusikerinnen der Gegenwart. Und ganz offensichtlich versteht sie es, streng zwischen extravertierter Bühnenpräsenz und ihrem Privatleben zu trennen.

Im heutigen TourKalender ab 16 Uhr gratuliert Siri Keil der Rockexzentrikerin PJ Harvey zum 40. Geburtstag.

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