Musik im Kinosaal – das WEEK-END Festival in Köln

Week-End Fest (Week-End Fest)

Das WEEK-END Festival in Köln hat das erste Mal geladen und fährt mit einer angenehmen Kino-Location für ein Winter-Indoor-Festival und einem für die Subkultur- und Jutebeutelträger-Checkerhobbits (so wie ich) sehr ansprechendem und schönen Line-up auf. Da lässt man es sich nicht nehmen und fährt mit einem kleinen Tross von vier Menschen mit dem Zug nach Köln, sucht sich ein Hotel (dessen Eingang zufälligerweise direkt neben dem Kinoeingang liegt) und freut sich auf drei Tage Köln mit toller Musik, Menschen, Filmen und vielleicht ein, zwei Bierchen.

Am Freitag um 19 Uhr startet das Ganze mit dem New Yorker Künstler Gary War im Foyer des Kinos. Alleine steht ein zotteliger junger Mann auf der kleinen Bühne und beschallt die früh eingetrudelten vielleicht 80 Besucher mit seinem collagenhaften Sound. Dabei kommt beinahe alles aus seinem Sampler, er spielt dazu eine Gitarre, die es rauszuhören gilt und singt in sein Mikrofon, das durch wenigstens 18 Effekte zu laufen scheint. Wirklich unterhaltend ist das nicht. Diese Mischung aus unendlich vielen verspielten und übersteuerten Melodien und dazu diese romantische Ferne in der Stimme und Umsetzung kennt man seit Jahren schon von einem Ariel Pink oder den später am Wochenende noch folgenden John Maus und R. Stevie Moore. Nach guten 25 Minuten ist sein Gastspiel auch schon vorbei.

Danach öffnet sich der Saal und High Places aus Los Angeles laden als erste Band in die Sessel des alten Kinos. Wir halten ganze vier Stücke durch. Leider kann uns die Gruppe mit ihrem Live-Auftritt gar nicht überzeugen – beziehungsweise uns sogar vergraulen. Das was High Places auf ihren ersten beiden Alben ausmachte, verpufft in dem unnötigen Nachahmen einer „Ray Of Light“, dazu kommt ein schrecklicher Sound. Zum Glück sollen noch andere Bands folgen. Also erstmal ins Hotel und die Sendung im Fernsehen schauen, von der alle reden.

Darauf folgend, gegen 21 Uhr, beginnen endlich Roedelius und Schneider mit ihrem Set. Der eine früher bei Bands wie Cluster und Harmonia, der andere bei Kreidler und To Rococo Rot. Gute vierzig Minuten ausgemalt von Klanggewalten und schwebender Elektronik lassen uns in die Sitze schmelzen. Der 77 Jahre alte Hans-Joachim Roedelius ist dabei hoch konzentriert und lässt nur ein einziges Mal während des Sets eine Einwirkung seines Kollegen Stefan Schneider zu, die ihm sogar ein Lächeln entlockt. Ein fantastisches Set, zwei tolle Musiker und Techniker. Auch wenn während dieses Konzertes viele Besucher den Saal verlassen, gibt es danach tobenden Applaus und für uns Gänsehaut. Bis hierhin das Highlight des Abends.

Jochen Distelmeyer ist leider mit seiner Band vor Ort, weshalb ich in verpassen lasse. Solo hätte er mir persönlich sehr gut getan. Allerdings kommt mir im Laufe des Abends noch zu Ohren, dass der Bassist gestern das erste Mal von Jochen gehört hätte und sich innerhalb von einem Tag alle Songs raufgeschafft habe. Nicht schlecht.

Als wir den Saal wieder aufsuchen, um das Due Nutti Soundsystem zu probieren, werden wir dessen verwiesen, weil, und dazu gibt es zwei gemunkelte Theorien, entweder der Herr Palminger lieber im Foyer spielen wollte und nicht im Saal, oder aber dass John Maus nicht auffindbar war und die Veranstalter deshalb eine Verzögerung von immerhin 45 Minuten produzieren wollten. Glückbringend die beinahe einzige, sonst lief alles nach Zeitplan. Das Soundsystem kann mich auf jeden Fall eher verschrecken als begeistern.

Über John Maus habe ich schon einige Lobeshymnen hier verloren und jetzt endlich kann ich von mir behaupten, ihn live gesehen zu haben. Von der ersten Sekunde an wirbelt der Herr auf der Bühne wie ein Derwisch und wirft mit vollem Körpereinsatz sein Haar durch die Luft. Meine Begleitung meint, er sei ähnlich beängstigend wie ein Peter Steele – Gott hab ihn selig – von Type O Negative oder aber ein Faust-Sänger mit Kettensäge auf der Bühne. John Maus ähnelt einem Jürgen Drews der Spex-Leser auf dem hiesigen Ballermann. Er brüllt zu Vollplayback in sein Mikro und schlägt sich dabei wie ein Silberrücken auf die weiche Brust. Der Durst nach Resonanz, das Einfordern von Widerstand aus dem Publikum. Diese aggressive Art von Romantik kann jemanden sofort packen und zum Mitmachen animieren oder eben verstören. Ich selber kann mich entladen an diesem Erguss und später gut einschlafen. Danke John.

Am nächsten Tag verpassen wir wegen der langen Nacht und der einladenden Einkaufsgegend des belgischen Viertels in Köln das Kinoprogramm am Nachmittag. Aber zu ersten Band sind wir wieder im Saal und werden gleich sehr überrascht von einem New Yorker Paar namens Buke And Gass. Nur zu zweit erreichen die beiden eine Klangdichte und Kraft im Ausdruck, wie es sonst manche Gruppen mit einer klassischen Fünferbesetzung nicht schaffen. Sie, Arone Dyer, singt und spielt Bariton-Ukulele (das „Buke“ im Bandnamen), er, Aaron Sanchez, eine Kreuzung aus Gitarre und Bass (das „Gass“ im Bandnamen). Sie trägt Schellen und Glocken um die Knöchel, er bedient neben dem Gitarrenspiel eine Art Bass-Snaredrum. Beide spielen ihre Instrumente perfekt zusammen über selbstgebaute Verstärker, jagen sie vorher durch Effekte und Arone singt dazu mit einer Stimme voll unerschöpflicher Brillianz. Sie selber bezeichnen das als Artrock, uns fällt keine Kategorie ein. Wir finden es einfach gut, sind begeistert und freuen uns auf das nun Kommende.

Family Fodder wurden nur für dieses Festival reanimiert und spielen das erste Mal seit 20 Jahren ein Konzert. Ich hatte vorher von der Band nichts gehört, mir nur davon erzählen lassen. Auf der Bühne stehen zwei alte Herren, einer am Akkordeon und Synthesizer, der andere an einem Schlagzeug, das eher dem Inventar einer guten Küche ähnelt, und eine Frau am Vibraphon. Die Musik ist nett. Psychedelisch und verschroben. Meine Begleitung erwähnt eine starke Veränderung der Musik zu früher. Ich entscheide mich für eine kleine Pause, um meine Aufnahmefähigkeit für andere Bands zu schonen.

Gegen halb neun geht es dann weiter mit Stevie Moore, also dem Godfather auf Lo-fi. Eben ihn durfte ich dieses Jahr schon auf seiner ersten Welttournee in Hamburg in einem kleinen Club erleben. Irgendwie steht ihm der enge, verrauchte Raum, in dem man ihm und seiner Tourband viel näher steht, ihn quasi riechen kann, sehr biel besser als sein Auftritt im Kinosaal vor gut 500 Leuten. Der Sound ist zu differenziert. Er und seine Helfer zu weit weg. Schade, dass sie nur zu dritt gekommen sind, angeblich hat der zweite Gitarrist seinen Pass vergessen und kam deshalb nicht mal ins Flugzeug. Fraglich ist, ob die Begeisterung für einen R. Stevie Moore sich aus seinem Schaffen nährt oder aber, weil er alt ist und ein komischer Kauz, der sich zu gern zur Schau stellt und über sich selbst spottet. Er und seine Band spielt sich durch Hits aus den immerhin 400 Alben, die Moore veröffentlicht hat, bedienen also eine gute Stunde ihre Fans und Neugierigen. Es wird sich auf dem Boden gewälzt und ein paar Barthaare ausgerissen, dazu ein unglaubliches Outfit wie man es von Moore gewohnt ist. Zum Abschied gibt es unter tobendem Applaus den Mittelfinger vor einem großen Lächeln. Sehr unterhaltsam.

Uns knurrt anschließend der Magen und wir entscheiden uns dafür, Françoiz Breut zu verpassen.
Pünktlich um 23.45 Uhr dann The Stepkids , die in letzter Minute und bei eigentlich längst überzogenem Budget noch für das Festival eingeholt worden sind. Zufälligerweise sind die drei Musiker zurzeit auf Tour durch Europa um ihr fantastisches, gerade erschienenes, Debütalbum vorzustellen und zufälliger Weise hatten sie dieses Wochenende frei. Ihr erster Deutschlandgig also. Als einzige Band dieses Wochenende nutzen die Stepkids das Kino auch in visueller Hinsicht. Sie hüllen sich und die komplette Bühne in weiße Laken und lassen darauf Projektionen von Farben, Formen und fließenden Strukturen tanzen. Beeindruckend. Auch wie sehr man so gute Songs in eine so unerträgliche Länge ziehen kann. Aus knackigen Vier-Minuten-Stücken werden mit Musikhochschulkünsten zugeschissene nichtenden wollende Quälerein für Augen und Ohren. Sie spielen ewig lange, eklige Gitarrensoli und Bluesbassläufe. Versuchen dabei Bewegungen wie im Rausch, wirken wie sehr schlechte Schauspieler. Das Ganze wirkt so abgesprochen, soll aber improvisiert rüberkommen, tut es aber leider gar nicht. Irgendwie sehr schade.
Trotzdem bleiben wir sitzen und ich muss gestehen das Album der Stepkids bleibt eines meiner persönlichen Lieblinge 2011.
Schön anzusehen ist immerhin, wie die beiden Veranstalter des Festivals vor den Sitzen in der ersten Reihe sich austoben und tanzen.

Zu guter Letzt an diesem Abend noch ein Konzert im Foyer. Ein Mann im Wollpulli hat sich hinter den Turntables aufgebaut und mit einem Mikrofon bewaffnet. James Pants legt mit seinem Computer auf und tanzt dazu ausdrucksvoll unschön, schnaubt mit gepresster Stimme dazu mit und schlägt auf sein Octapad im Rhythmus oder eben daneben. Eine ziemlich eigenwillige Art der Darbietung, geht die Musik doch auch teilweise (wenn es sich um seine eigenen Stücke handelt) in Richtung der schon gesehenen Gary War oder aber John Maus. Es macht uns Spaß, ihm zuzusehen, keine Ambitionen sondern ein einfaches Gehenlassen. Das Publikum saugt ihn und sein Programm auf. Das liegt auch daran, dass er eine Art Mashup spielt, in dem er auch Klassik einbaut, gepaart mit Drone oder Big Beat. Ein schöner Abschluss für den Abend und für mich bei diesem Festival.

Am nächsten Tag schaue ich mir noch „Zwei glorreiche Halunken“ im Kino an und bin traurig, dass der „Zauberer von Oz“ erst läuft, als ich mich schon auf den Heimweg machen muss. Dafür erwarten mich zu Hause in der kleinen Astra-Stube Auftritte von der Hamburgerin Tellavision sowie dem Berliner Touchy Mob. Man munkelte auf dem Festival jetzt schon über ein WEEK-END Festival 2012, bei dem der Headliner wohl Guided By Voices sein sollen. Wir sind gespannt.

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