So war das Immergut Festival

Keine Ahnung, warum ich persönlich es noch nie zum Immergut Festival geschafft hatte, aber dieses Jahr sollte dann doch mein erstes Mal werden. Wir fahren nach Neustrelitz. Nur einen Tag. Samstag. Hier ein persönlicher Erlebnisbericht.

Meine Begleitung und ich trafen uns am Samstagvormittag mit unserer Mitfahrgelegenheit, die sich am Tag zuvor noch im Netz auftat. Während wir eine Stunde durch Hamburg irrten um den vierten Mann einzusammeln und die Auffahrt zur A24 zu finden, begann das wahrscheinlich typische Frage-Antwort-Spiel im Passagierraum. Neben Auflisten von Festivalerlebnissen und Abstimmen über Ranglisten verschwand unser Proviant nebenbei in unseren Mägen und Hirnen. Leicht angeduselt (nur die Beifahrer) staunten wir über die Seenplatten und östliche Architektur der kleinen verlassenen Ortschaften. In der vorderen Reihe wurde lauthals Philipp Poisel unterstützt und sich darüber beschwert, dass Gisbert zu Knyphausen schon am Vortag spielte. Dann in Neustrelitz kurz in der Pension eingecheckt und innerhalb des Ortes nach Hinweisen zum Festival gesucht.

Schon auf dem Weg vorbei an den Park und Zeltplätzen wird die doch recht übersichtliche, wahrscheinlich dadurch angenehm und vielleicht familiäre, Menge der Besucher sowie deren Stimmung klar. Auch das Festivalgelände selbst ist eine schnell einstudierte und leicht einzuprägende Fläche mit den üblichen Anlaufstellen wie Nahrungsmittelwagen, Merchandise-Zelt, Tabakspiellandschaft, einem Kunstbasar, Infoständen, Flüssigkeitsgefülltengenussmittelpilzen, sanitären Rückzugsorten, sowie natürlich den drei Austragungsorten, die sich unterteilen in Hauptbühne (groß), Zeltbühne (mittel) und Walbühne (klein).
Auf Letzterer liest bei unserer Ankunft gerade der mittlerweile in Berlin lebende, ehemals bei der Gruppe Muff Potter singende Autor Nagel aus seinem aktuellen Buch „Was kostet die Welt“. Vor ihm sitzen einige hundert noch vom Abend zuvor leicht verstrahlte Besucher auf Decken oder ihren Jacken im staubigen Gras und versuchen, den vom Wind verwaschenen Worten zu lauschen.

Beim ersten Kontakt mit vom Vortag und von der Quelle Eingeweihten gibt es zwei wiederkehrende Informationen. Bester Auftritt am Freitag war der der Gruppe Station 17. Leider etwas zu kurz geraten (vom Veranstalter Team wurde nur eine halbe Stunde zur Verfügung gestellt), aber schnell ansteckend und stimmungsgeladen. Die zweite Auskunft darüber, wie denn Mogwai gewesen seien, stellte sich als weniger homogen heraus. Antworten zwischen zu laut, zu lang, zu spät, zu betrunken fliegen uns entgegen. Mehr ist nicht rauszuholen aus den verschlafenen Klangkörpern. Lieber trinken wir Bier und liegen in der Sonne.

Der erste Künstler, der uns dann doch interessiert, soll angeblich den Weg vom Bahnhof zum Gelände nicht finden und wird deshalb nach hinten verschoben. Ob er es wirklich schafft, steht noch in den grauen dicken Wolken, die sich dann doch immer wieder am Himmel verirren und einen leicht ängstlichen Schatten vor dem großen Guss über alles ziehen. Dann erhascht man zwischen den vielen kleinen Sichtnehmern einen großen Bart auf der Waldbühne und sieht einen Touchy Mob beim Aufbauen. Irgendwie verliert sich leider auch dieser Auftritt im Klumpatsch aus Stimmen, Blätterrascheln und Sonnenstrahlen. Ich sollte ihn lieber im Club anschauen, wenn er das nächste Mal in Hamburg gastiert. Ein spannender Künstler. Dieser Ort und sicherlich noch mehr der Zeitpunkt: ein umgespannter Rahmen, der ihm nicht passt.

Irgendwann schaffen wir es hinter die Bühne in einen bauwagenplatzähnlichen Be­reich, der sich Backstage schimpft. Endlich gibt es Mückenspray! Die Biester kennen keine Gnade dieser Tage und beißen jeden, der sich nur auf das Gelände wagt, auch hier hinten. Dieser Ort ist eine Oase der Ruhe und alle sitzen vor ihren eingeteilten Holzwohnungen auf Rädern. Da wären am Ende der Wagenstraße die Herren von Deus. Ein Jason Collett, der nochmal seine Setliste auf der Gitarre durchgeht. Das Herrenmagazin, dasss sich auf den Hackbraten mit Gnochis und Gemüse stürzt. Ein Nagel, der sich von den Heuschrecken des neuen ZDF Kultursenders filmen lässt. Eine leicht verirrt wirkende Sarah Kuttner an einem mit Magnetangelspielen ausgestattetem Planschbassin. Eine Gruppe junger Isländer, die ihren Bandnamen wie eine Fußballmannschaft mit Flockbuchstaben auf ihren Rücken trägt. Ein zurückhaltender Hans Unstern. Der wieder einmal fantastisch gekleidete Carsten Meyer alias Erobique. Die drei Mitglieder der Gruppe Bodi Bill, die sich später als der Überraschungsact entpuppen werden. Und eine verlassene, große Schüssel Gurkensalat. Irgendwie schön.

Die nächste Gruppe, zu der wir es schaffen, ist das Herrenmagazin. Diese spielen im bis zum Anschlag gefüllten Zelt und werden mit riesig verschwitztoffenen Armen aufgenommen. Die Besucher haben ihre Energie zurückerlangt und scheinen völlig ausgehungert zu sein. Sie lassen sich jede Hymne der Hamburger schmecken und geben eine Soße aus Anerkennung, Textsicherheit, Hysterie und Liebe zurück in Richtung Bühne. Der Band macht es sichtlich riesigen Spaß. Sie spielen ein schnelles und überzeugendes Set. Irgendwie toll.

Immer mehr bekannte Gesichter tun sich auf und stehen am Bühnenrand. Der Pegel steigt langsam, dabei ist es erst halb neun. Aber, das hier ein Festival.

Nach guter solider Bratwurst und einigen Getränken später schauen wir uns Bodi Bill an. Im Vorfeld angekündigt als Jane Fonda Trio, gab es im Netz so einige Mutmaßungen und Diskussionen, um wen es sich dabei handelt könnte. Deshalb begrüßt der Sänger das Publikum mit den Worten „Hallo, wir sind die Ärzte“. Etwas mehr Kreativität hätte ich den Forenbesuchern zugetraut, sind doch die Ärzte nicht das einzige Trio in der Musiklandschaft. Naja. Bodi Bill sind meiner Meinung nach eine fantastische Live-Band und das stellten sie auch heute wieder unter Beweis. Alles stimmt, die Lichtshow, die Setliste und die damit einhergehende Abwechslung, die Kostüme, die Requisiten (z.B. ein menschengroßer Styroporstein, in den sich der Sänger zwängt), das gegenseitige Abklatschen am Bühnenrand und vieles mehr. Hier stimmt einfach alles. Einzig als Vorwurf zu äußern ist die zu sehr gewollte internationale Bühnentauglichkeit, die sich so äußert, dass Ansagen und Anheizer ans Publikums lieber auf Englisch erledigt werden. Aber der Rest überlädt dieses leichte Peinlichkeitsgefühl.

Dann verirren wir uns wieder ins Zelt und trauen dort unseren Augen und Ohren nicht. Das Zelt scheint sich aufzulösen und die Bretter am Boden zu brechen, der gesamte Inhalt hüpft und schreit. Auch wir werden sofort angesteckt und können nicht anders als mit offenen Mündern kreischend zu tanzen. Auf der Bühne, eine Schulklasse? Die Gruppe mit den Flockbuchstaben. Isländer. Grade mal volljährig, der Name Retro Stefson. Und sie beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sondern auch die Herzen aller Anwesenden. Retro ist ein gutes Stichwort, denn die Band spielt sich durch alle Haltestellen der Musikgeschichte und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie sind sich nicht zu schade, komplette Läufe zu adaptieren, nein sie bauen sie sogar ein, und geben dem Ganzen eine frische jugendliche Note. Sie springen, lachen, tanzen, manchmal einstudiert oder einfach aus dem Bauch herraus. Sie bedienen jetzt schon die großen Gesten und nicht einen Moment kommen sie dabei peinlich rüber, nein, man denkt, das gesamte Zelt sei die Telefonzelle aus Bill und Ted und es würde sich hierbei um ein Konzert aus den 70ern handeln. Diese Spielfreude dringt wie die feuchte Luft unter jedes T-Shirt und diese Zeit soll niemals enden. Tut sie dann aber nach zwei Zugaben doch.

Was soll jetzt noch kommen? Es regnet mittlerweile und auf der großen Bühne stehen bereits Deus. Irgendwie ist bei uns der Ofen aus. So verzichten wir auf die Rockhauptband, auf einen Hans Unstern und Erobique. Die Betten rufen und am nächsten Morgen sind unsere Körper darüber dankbar, der meiner Begleitung aber leider mit einigen Stechseen ausgestattet. Dafür hatten wir einen schönen Wochenendausflug und vielleicht machen wir es nächsten Jahr nochmal.

(K.Hamann)

Alle Infos zu dem Festival und den Bands gibt es unter www.immergutrocken.de/

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