King Hannah – „Big Swimmer“ (Rezension)

Von Jan Boller, 30. Mai 2024

Cover des Albums „Big Swimmer“ von King Hannah

King Hannah – „Big Swimmer“ (City Slang)

7,7

Sehr britisch klangen King Hannah bereits auf ihrem Debütalbum „I’m Not Sorry, I Was Just Being Me“ nicht. Abgesehen von gelegentlichen Britpop-Referenzen („Ants Crawling On An Apple Stork“) fokussierten sich Hannah Merrick und Craig Whittle vorzugsweise auf Americana-Spielweisen wie Blues, Country oder Folk, die ihre visuellen Spiegelbilder im Kino und im US-amerikanischen Fernsehen fanden. Das Herz der USA schlägt in der Mitte und im Süden, jedenfalls nicht an ihren urbanen Rändern. Ist spröde, gefährlich, weiß und republikanisch. Ein Mythos, der sich glücklicherweise aufzulösen scheint, allerdings immer noch seine Wirkung hat und auch seinen Reiz – wie offensichtlich bei King Hannah.

Mit dem neuen Album „Big Swimmer“ hat das Duo aus Liverpool seine Musik um eine Vielzahl weiterer Musikeinflüsse erweitert. King Hannahs Musik ist nicht originär (wenn es das gibt), sondern sie vermischt Geschichten und Narrative aus dem Kino, aus der Literatur, aus der Musik mit den eigenen sehnsuchtsvollen Projektionen auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der Blick von außen konstruiert aber eben nicht die kalte Sterilität von Meta-Musik, sondern ist persönlich und leidenschaftlich.

Ein amerikanischer Traum

Nach einem Onetwothreefour eröffnen King Hannah mit zusammen mit Sharon Van Etten das Album klassisch songwriterorientiert. „I’m a big swimmer. I’ll swim at anything“, heißt es in dieser Empowerment-Hymne. Die Metapher des Schwimmers wird das Album in Varianten begleiten. Hier gibt sie der Protagonistin einen Stoß hinaus in die weite Welt – „It feels right to do so“. Dann lässt Craig Whittle seiner Gitarre freien Lauf und gibt damit noch einmal musikalisch das Thema des Albums vor. „Big Swimmer“ ist als Roadmovie angelegt und mit einem inkohärenten Plot versehen, an dem man sich vor allem assoziativ entlanghangeln kann. Oder eben: sich treiben lassen muss. Vielleicht auch deswegen ist man versucht, einen geheimen Spannungsbogen zu enträtseln, denn die einzelnen Albumteile haben geografisch und musikalisch wenig miteinander gemein.

Wer „Big Swimmer“ konzeptuell liest, muss damit leben, dass es wechselnde Ich-Perspektiven gibt. Eine davon ist die von Hannah Merrick selbst. In „New York Let’s Do Nothing“ zieht es die Protagonistin nach New York. Der Modus: literarische Spoken Word Poetry, die zwangsläufig an Dry Cleanings Florence Shaw erinnert. Musikalisch streift „New York Let’s Do Nothing“ Sonic Youth, textlich könnte Patti Smiths Biografie „Just Kids“ ein Bezugspunkt sein. Merrick verlagert ihre und Craigs Kennenlern-Geschichte von Liverpool nach New York, um sie mit der Begegnung von Patti Smith mit Robert Mapplethorpe zu verweben. Arbeit suchen, finden und wieder verlieren, Musik hören, ins Whitney Museum gehen. Dass die naive Grundhaltung der jungen Patti Smith mit dem abgeklärten Sprechgesang Merricks kontrastiert wird, hinterlässt eine Ahnung davon, wie Patti Smith als Songwriterin im Jahr 2024 geklungen haben könnte.

Zynisch-regressive Untertöne

Das Leben der Bohème wird in „The Mattress“ dem Reality-Check unterzogen. In diesem schmutzigen Blues spiegelt sich die prekäre Realität im Chelsea Hotel wider. Wenig Glamour, viel Elend und Erfahrungen mit LSD: „There’s a mattress, flying or is it floating?“ Wer aber meint, die Geschichte ließe sich durchgängig so präzise ausbuchstabieren, liegt falsch. Denn das Album driftet in die unwirkliche, beunruhigende Gedankenwelt von „I’m Not Sorry, I Was Just Being Me“ ab. Sperrige Lyrik aus dem bösen Unterbewusstsein verbindet sich mit lakonischen Alltagsbeobachtungen: In „Milk Boy (I Love You)“ wird ein Junge ohne Schuhe von seinem Vater misshandelt. Noch unangenehmer ist „Suddenly Your Hand“: „You know a lot of them they don’t kill but they torture still“ – das sind Texte mit zynisch-regressiven Untertönen, aber Merrick formuliert ihre Geschichten nie aus, sondern überlässt sie dem ausladenden Gitarrenspiel von Craig Whittle. Gänzlich lost sind King Hannah in „Somewhere Near El Paso“, einem zähen Brocken zwischen Stoner und Desertrock, dem die innere Spannung fehlt.

„I feel like I am on the front cover of that ‚Slint‘ album“, heißt es im treibenden Grunge-Song „Lily Pad“ und greift mit dem von Will Oldham fotografierten Schwarz-Weiß-Cover der in einem See badenden Band das titelgebende Motiv auf: Schwimmst Du noch oder wirst Du schon abgetrieben? Musikalisch sind King Hannah im Schlussteil von „Big Swimmer“ jedenfalls wieder in herkömmlichen Songformaten unterwegs. „Davey Says“ ist ein kurz angebundener Slacker mit schönem Harmoniegesang, der Aufbauarbeit für die durchgeschüttelte Seele leistet. In „This Wasn’t Intentional“ singt wieder Sharon Van Etten mit und das hätte eine schöne Klammer für das gesamte Album sein können. Wäre da nicht das abschließende „John Prine On The Radio“, das die Frage aufwirft, ob alles vorher nur ein Tagtraum einer gelangweilten Hausfrau gewesen ist, während ein Hühnchen im Backofen brutzelte? Es gehört zum Wesen des US-Melodrams, von einem Idealzustand über die Katharsis wieder in die ursprüngliche Idylle zurückzukehren. King Hannah verhandeln dies mit bissiger Ironie: Da ist sie wieder, die Enge des Anfangs.

Veröffentlichung: 31. Mai 2024
Label: City Slang

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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