Julia Holter – „Have You In My Wilderness“ (Rezension)

Cover des Albums Have You In My Wilderness von Julia Holter

Julia Holter – „Have You In My Wilderness“ (Domino)

9,0

Eine schwer zu greifende, seltsam bezaubernde Stimmung haftet der Musik von Julia Holter an. Vergleichbar mit dem Licht zwischen Tag und Nacht, der Dämmerung, der blauen Stunde. Scheinbar beruhigend, aber nicht ganz ungefährlich. Irgendwas versteckt sich im Verborgenen. Auf ihrem letzten Album „Loud City Song“, das an das Buch „Gigi“ angelehnt war, führte Holter diese Stimmung vielgestaltig aus: mal aufgekratzt rockig, mal im Wechsel von Fragilität und Free-Jazz-Ausbrüchen.

Ihre vierte Platte „Have You In My Wilderness“ wirkt dagegen beinahe wie aus einem Guss. Ein weit tönendes Echo und sanfte, um sich greifende Töne – seien es Gesang, Streicher oder Klavier – verbinden alle zehn Lieder auf dem Album. Oft scheint Julia Holter von einem Orchester aus Stimmen begleitet zu werden und erinnert damit, nicht überraschenderweise, an Künstlerinnen wie Julianna Barwick und Grouper. Der dominierende Gestus auf „Have You In My Wilderness“ ist der von schwelgerischem, weit schweifendem Pop. Keine abrupten Umschwünge, aber gewissenhaft aufgebaute, imposante Dynamiken.

Im Juni 2014, auf halber Strecke zwischen altem und neuem Album, veröffentlichte Julia Holter ein Cover des Burt-Bacharach-Hal-David-Klassikers „Don’t Make Me Over“, der 1962 das Debüt von Sängerin Dionne Warwick bezeichnete. Holter bleibt mit ihrer Version nah am Original, setzt dessen orchestralen Pomp aber weit minimaler um und verleiht dem Gesang, dem Text, der von Schmerz und Stolz handelt, eine subtile Vehemenz. Die selbe Vehemenz waltet auf „Have You In My Wilderness“. Und auch das Liebäugeln mit den großen Popballaden der 60er-Jahre findet sich hier wieder.

Etwa beim Track „Silhouette“, angetrieben von einem tänzelnden Klavier und langen „Ahs“ im Hintergrund, in die Höhe gehoben von hellen Streichern, die zum Ende viel Spannung entladen. Oder dem melancholisch swingenden „Sea Calls Me Home“, in dem Julia Holter mit ihrer großartigen Stimme stark „I can’t swim / it’s lucidity / so clear!“ proklamiert, und das in einem ungestümen Saxofonsolo gipfelt. In Träumen begleitet werden möchte man von Songs wie dem polyphon überwältigenden „Lucette Stranded On The Island“ und dem gespenstisch-behaglichen „Have You In My Wilderness“. Ein Aufrütteln bietet „Vasquez“ mit holperndem Jazz-Arrangement und das galoppierende, poppige Stück „Everytime Boots“.

Julia Holters viertes Album scheint im ersten Moment wie ein vielstimmiges Ganzes, ein langer Halbschlaf. „Have You In My Wilderness“ ist in der Tat in der Soundgestaltung homogener als seine Vorgänger. Das Album kennt aber viele Stufen und Akzente, es ist ein gekonntes Spiel mit Dramatik, ein langer, faszinierender Sog.

Label: Domino
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Julia Holter live, präsentiert von ByteFM:

28.10.15 München – Kammerspiele
29.10.15 Frankfurt am Main – Brotfabrik
30.10.15 Hamburg – Uebel & Gefährlich (im Rahmen der Konzertreihe „Shutters“)
05.11.15 Berlin – Berghain

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