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Was ist Musik Gender ist eine Lüge? Heute keine Männer (19.01.2014)

ByteFM: Was ist Musik vom 19.01.2014

Ausgabe vom 19.01.2014: Gender ist eine Lüge? Heute keine Männer

Gender's just a lie. Gender Equality is a myth! Der erste Satz stammt aus “Human Drama” von der britischen Künstlerin - generisches Femininum, Gender's just a lie - Planningtorock. Der zweite Satz stammt von Beyoncé aus einer Streitschrift für eine Initiative der Bestsellerautorin Maria Shriver.

"Die durchschnittlich arbeitende Frau verdient gerade 77 Prozent dessen, was ein Mann durchschnittlich verdient", schreibt Beyoncé. Gender's just a lie. Gender Equality is a myth! Streng genommen widersprechen sich die beiden Aussagen. Planningtorock attackiert die Gender-Konvention, die Geschlechtlichkeit auf die Mann-Frau-Dichotomie reduziert und jede Abweichung stigmatisiert. Beyoncé kritisiert die Ungerechtigkeit innerhalb der bestehenden Ordnung zwischen Mann und Frau, ohne die Gender-Definition in Frage zu stellen.

Beide Aussagen sind richtig, weil beide Frauen aus ihrer Sprech- und Machtposition Themen ansprechen, die die jeweils andere so nicht ansprechen könnte. Planningtorock kritisiert die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen? Wen interessiert das? Beyoncé stellt die binäre Ordnung der Geschlechter in Frage? Soll sie erst mal in den Spiegel gucken, schließlich ist sie die First Lady im „Power Couple Nr.2 der African American Aristocracy“ (Sonja Eismann) mit allen Attributen heterosexuell codierter Weiblichkeit…

Fortsetzung in der nächsten SPEX, Gegenwartskunde.
Damen, Diven, Ladies, Women, Medusa, Angel, Kelela, Charlotte OC, Neneh Cherry, Georgia Ann Muldrow und andere…

Sonntag, 19.1.14. 20-21 Uhr
Wiederholung: Mittwoch, 22.1.14., 8-9 Uhr

Einschalten - oder als Freund von ByteFM im ByteFM Archiv nachhören.

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Klaus Walter LIVE:
ROBERT JOHNSON THEORIE
Samstag, 25.1., 22 Uhr – Eintritt Frei
Robert Johnson, Nordring 131, 63067 Offenbach am Main

Vokalviagra & geschminkte Stimme? Autotune & Pornografie, Körper-Apps & Selbstoptimierung – Vortrag mit Videoclips und Platten mit Klaus Walter

Autotune ist das digitale Kind des Vocoders. Ein Effekt, der die Stimme verändert. Eigentlich dient Autotune der Perfektionierung des Gesangs. Wenn ein Sänger den Ton nicht richtig trifft, dann wird nachgeholfen mit Autotune. So weit, so normal, so Gaga, so Bohlen.

Bis jemand den Reiz der Übertreibung entdeckt. Das metallisch robotende Flirren und Summen auf der Stimme bekommt eine eigene Faszination, das Unsichtbare, Ungreifbare nimmt haptische Gestalt an, oder hypnagogische? Manchmal klingt das Vibrato der Stimme wie das leise Sirren eines Vibrators, im Clubtrack camoufliert Autotune die Autorenschaft und verstärkt Flow und Anonymität.

Im HipHop und R&B wurde der Autotune-Effekt Ende der Nullerjahre massiv eingesetzt - bis zum Überdruß, bis zum „D.O.A.“ – den Death of Autotune verkündet Jay Z. 2009. Auf Tod und Overkill folgt der produktive Backlash. Unter Folkies und Vollbartträgern, House-Crooner und wohltemperierten Klavierschülern feiert Autotune ein kreatives Comeback. Kredible Sensible rehabilitieren den verfemten Effekt, sie verwandeln die Verblendungstechnologie in ein individuelles Ausdrucksmittel.

Die Distinktionsgrenze verläuft zwischen Burial, Bonnie Prince Billie, Skream, Justus Köhncke und James Blake und Lil Wayne, Lil Kim, Snoop Dogg und T.Pain auf der anderen Seite - weiße Künstlerindividuen vs. schwarze Kulturindustrielle. Was heißt das? Und warum läßt sich ein stalinismusverdächtiger Marxist und Marxbartträger mit dem Teufelszeug ein? Robert Wyatt auf Autotune & Maultrommel mit Hot Chip.

„Das Korn der Stimme ist eine erotische Mischung aus Timbre und Sprache“, sagt Roland Barthes. Was hätte der Liebhaber der romantischen Lieder Robert Schumanns zum autotunisch oversexten R&B und HipHop des 21.Jahrhunderts gesagt? Autotune versieht die Stimmbänder mit sexuellen Magneten.

Der Sound suggeriert maximale Intimität bei maximaler Öffentlichkeit, das Setting kennen wir aus der Pornografie. Wie Porno funktioniert Autotune-gestützter Pop zugleich als sexuelles Versprechen und als Drohung: Er verspricht: Alles geht. Er droht: Alles muss immer gehen. Im Porno dominieren künstlich optimierte Körper, im Pop künstlich optimierte Stimmen.

Autotune ist der Sound der digitalen Migration und der digitalen Assimilation. Er macht Stimmen übergeschlechtlich, alterslos und farbenblind. Sogenannte natürliche Eigenschaften der Stimme werden außer Kraft gesetzt, und damit die tradierte Zuordnungslogik einer nach Geschlecht, Alter und Rasse segregierten Popwelt. Autotune hebt die Stimme auf ein next Level, produziert Alter Egos. Wo steht mir denn der Kehlkopf? Singt da ein schwarzer Mann, eine weiße Frau oder doch der Pudel von Elton John?

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In eigener Sache:

Liebe Hörer_innen von Was ist Musik,

das Internetradio ByteFM sendet seit 2008. Ebenso lange mache ich dort die Sendung 'Was ist Musik', immer sonntags um 20 Uhr. In den ersten zwei Jahren war die Sendung drei Stunden lang, seit 2010 zwei Stunden. Wie alle Autoren-Sendungen bei ByteFM (im Unterschied zu den redaktionell gestalteten) wird 'Was ist Musik' nicht honoriert.

Zwei Stunden Sendezeit ohne inhaltliche Vorgaben oder Beschränkungen, das ist ein Geschenk und ein Privileg, das es in dieser Form im öffentlich-rechtlichen Radio praktisch nicht (mehr) gibt. Zwei Stunden Sendezeit so zu füllen, dass es interessant bleibt, auf der Höhe der Zeit und den Ansprüchen der Hörer_innen genügt – und den eigenen - das ist eine Aufgabe, die viel Einsatz erfordert und viel Zeit.

Zeit und Arbeit, für die es kein Geld gibt, Zeit, die ich brauche, um anderweitig Geld zu verdienen. Die Möglichkeiten, im deutschsprachigen Radio mit popkulturellen Themen Geld zu verdienen, haben sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert, man braucht also mehr Zeit, um genug Geld zu verdienen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich entschlossen habe, meine Sendung ab sofort auf eine Stunde pro Woche zu kürzen.

Dazu noch ein paar allgemeinere Überlegungen:
Zu den Besonderheiten der digitalen Marktwirtschaft gehört der Umstand, dass immer mehr qualifizierte Popkulturarbeit im Internet stattfindet – für immer weniger Geld. Das gilt für schreibende Kritiker wie für Radiomacher. ByteFM hat 2009 den Grimme Online Award bekommen. In der Begründung erinnert die Jury an alte Zeiten: „…bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte.

Dass erst ein neues Medium genau das auferstehen lässt, was viele mit Wehmut an die früher vor dem alten Medium verbrachten Stunden zurückdenken lässt, mag Ironie des Schicksals sein. Doch ist ByteFM kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete Plattform…“

Die niedlichen „Musikliebhaber“ sind zum großen Teil Musikjournalisten mit viel Erfahrung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deren qualifizierte popkulturelle Arbeit ist im Zuge des nun schon zwei Jahrzehnte andauernden „kommerziellen Umbruchs“ immer weniger gefragt. Mit dem Siegeszug des kommerziellen Privatradios, der übrigens mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenfällt, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland von der Popkritik weitgehend verabschiedet - ruhmreiche Ausnahmen bestätigen die Regel.

Entsprechende Sendungen wurden auf nächtliche Sendeplätze verschoben oder ganz abgeschafft. Meine Sendung 'Der Ball ist rund' beim Hessischen Rundfunk wurde Ende 2008 nach 24 Jahren eingestellt – knapp ein Jahr nach dem erfolgreichen Start von ByteFM… Die Folge dieser Entwicklung: Popkritik-Profis reamateurisieren sich zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen bei einem Internetradio wie ByteFM.

Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung – die Tauschformel der Prekaritätsökonomie. Was die Grimme-Jury in ihrer Eloge verschweigt: Dass die possierlichen „Musikliebhaber“ sich nicht bloß selbst ausbeuten, sondern dass sie unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen sämtliche Qualitätsstandards unterschreiten müssen, die bei orthodox ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Programmen üblich sind. Von dem Geld, das bei ByteFM in ein aktuelles Zwei-Stunden-Magazin fließt, könnte ein öffentlich-rechtliches Radiofeuilleton keine zwei Minuten senden.

Das ist ein weiterer Grund für die Reduzierung der Sendezeit von 'Was ist Musik': die permanente Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit. Wenn eine Sendung ständig unter Zeit/Geld-Druck entstehen muss, dann drückt das die Qualität und damit die Freude an der Arbeit. Dann bleibt mal eine holprige Moderation drin, die man unter anderen Bedingungen noch einmal aufgenommen hätte, ein schiefer Übergang wird nicht noch mal neu produziert, es fehlt die Zeit, einen Mod-Text auszuformulieren, also redet man redundantes Zeug usw usw…die Qualität leidet.

ByteFM wiederum, also die Redaktion und Ruben Jonas Schnell, der Gründer des Radios, haben keine Mittel, um unbezahlte Mitarbeiter_innen dazu zu bewegen, eine Sendung evtl. noch mal neu aufzunehmen oder anders zu gestalten. Das sind die Schattenseiten der vom Grimme-Institut gefeierten Musikliebhaberei. Und bitte rede jetzt niemand von der Romantik des Unperfekten oder vom Charme des Dilettierens, beides verbraucht sich schneller als man „Das Beste aus den Achtzigern, den Neunzigern und von heute“ sagen kann.

In der Medienberichterstattung wird immer wieder betont, dass ein Internetradio wie ByteFM im Bereich der Popkultur das leistet, was die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen qua Auftrag leisten müssten - aber nur sehr eingeschränkt tun. Ohne eine halbwegs angemessene Finanzierung kann ByteFM das nicht leisten.

Die Haupteinnahmequelle ist der Freundeskreis von ByteFM. Für 50 Euro – nicht am Tag, nicht im Monat – im Jahr kann man Mitglied werden und hat so Zugang zum Archiv, kann also Sendungen nach eigener Wahl anhören, wann man will. Dazu gibt es weitere Privilegien wie Verlosungen von Konzertkarten und Ähnliches. Wenn Ihr ByteFM unterstützen wollt, dann werdet Mitglied des Freundeskreises, Ihr könnt auch mehr zahlen als 50 Euro.

Selbstverständlich freuen wir uns auch über begabte Crowdfunderinnen oder Ölmilliardäre, die unser Radio sponsern wollen. Bis diese sich gemeldet haben bleibt 'Was ist Musik' bei einer Stunde Sendezeit, Sonntag 20 bis 21 Uhr, das selbe gilt für 'Vierundzwanzig/Sieben – die Woche im Pop', ab sofort am Montag, 18 bis 19 Uhr.

Diese Sendung heißt 'Was ist Musik', weil die Antwort darauf ist: alles.
Danke für die Aufmerksamkeit, Klaus Walter

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Playlist

1.  Planningtorock / Welcome/All love´s legal
All Love´s Legal / Humanlevel
2.  Planningtorock / Human Drama
All Love´s Legal / Humanlevel
3.  Neneh Cherry / Everything
Everything / Supersilent
4.  Georgia Ann Muldrow / Akosua
Akosua / Stones Throw
5.  Lady Daisey / Get got (ft. George Clinton)
In my headphones / BBE
6.  Erykah Badu & Starslinger / Divas II.
Divas / Starslinger
7.  Anita Baker & Starslinger / Divas I.
Divas / Starslinger
8.  Kelela / Enemy
Enemy / Stones Throw
9.  Angel Haze / April´s Fool
Angel Haze / Universal
10.  Tellavision / Haters you love
Funnel Walk / Bloody hands
11.  Medusa / Neheb N3ch Hayati
Sawtuha / Jakarta
12.  Charlotte OC / Hangover (Moodymann Remix)
Hangover / Soundcloud