Neue Platten: Black Rain, Cut Hands und Killing Sound

Von Philipp Rhensius, 21. November 2014

Cover des Albums Festival Of The Dead von Cut HandsCut Hands – „Festival Of The Dead“ (Blackest Ever Black)

9,2

Schon nach Sekunden öffnet sich das Tor zu einer anderen Welt. Eine Welt, in der keine Stille herrscht und ein ständiges Rauschen existiert, in das sich immer wieder schreiartige Töne drängen, die so klingen wie die elektronisch verzerrten Vogellaute in Hitchcocks „Die Vögel“ und sich schon bald in klirrend hohe Sounds verwandeln. Als dann die unnatürlich verhallte Frauenstimme das Wort ergreift und emotionslos von „altered brain document systems“ spricht, steht fest: Das neue Album des enigmatischen Post-Industrial-Duos Black Rain ist eine Mischung aus düsterem Science-Fiction-Soundtrack und musikgewordenem Film Noir: vertrackt-nervöse Rhythmen („Endourban“ und „Data River“), eine zwischen Unbehagen und Melancholie liegende Grundstimmung und zähflüssige Klangtexturen, die sich durch eine menschenleere Landschaft ziehen („Watering Hole“) – wie die Schatten in den alten Noir-Streifen, die stets dunkler und größer sind, als sie es sein dürften.

Das Cinematische und Narrative an „Dark Pool“ ist Konzept. Nicht nur der Name des aus dem New Yorker Stuart Argabright und dem japanischen Musiker Shinichi Shimokawa bestehenden Projekts ist dem gleichnamigen Film von Ridley Scott von 1989 entlehnt. Die Gründung von Black Rain 1995 geht auf die Produktion des Soundtracks von „Johnny Mnemoni“ zurück, einem trashigen Cyberpunk-Film mit Keanu Reeves.

Auch das 18 Jahre später erschienene Debütalbum ist maßgeblich von Science-Fiction wie etwa Paolo Bacigalupis 2009 erschienenen Roman „The Windup Girl“ inspiriert, einer Dystopie über ein 23. Jahrhundert, in dem die Menschheit von biotechnologischen Konzernen beherrscht und terrorisiert wird.

Nur selten tauchen humane Elemente auf, wie etwa in „Profusion I“, in dem eine ätherische Frauenstimme opernhafte Melodien singt. Dass diese Stimme wirkt wie der letzte Rest einer Menschlichkeit, verweist auf eines der zentralen Themen des Albums: Entfremdung. Ein Leitmotiv, das auch der Science-Fiction-Autor William Gibson verwendet, um seine apokalyptischen Zukunftsszenarien plausibler zu machen.

Das Besondere an „Dark Pool“ ist die stilistische Spaltung aus kruder 80er-Industrial-Ästhetik und zeitgenössischen Formen apokalyptischer Clubmusik wie etwa Sandwell District oder dem entschleunigten Drone-Dub der britischen Labelkollegen Raime.

Apropos, dass Black Rain 18 Jahre nach dem Soundtrack des gefloppten Kinofilms überhaupt noch Musik machen, liegt wohl auch an der Überzeugungsarbeit von Kiran Sande, dem Macher des Londoner Labels Blackest Ever Black, das 2010 als Output für weirde Clubmusik an der Schnittstelle von Doom Metal, Dub, Industrial und Postpunk gegründet wurde. Und das innerhalb von nur vier Jahren mit seiner eigenwilligen Ästhetik weltweit bekannt geworden ist.

Neben Black Rains Debüt erschienen dort vor Kurzem die Debüt-EP des Bristoler Dub-Kollektivs Killing Sound oder das Album „Festival Of The Dead“ von Cut Hands, dem Nebenprojekt des Noise/Industrial-Künstlers William Bennett. Während die an dekonstruiertem Dubstep, Jungle und Drone geschulten Tracks von Killing Sound zeitweise hymnenartigen Charakter haben, ist das Ende Oktober erschienene Cut-Hands-Album eine radikal unterkühlte Spielart zeitgenössischer Clubmusik. Der ausschließlich aus metallischen Percussions und einem gnadenlos hämmernden Bass bestehende Track „The Claw“ kommt dem wohl am nächsten, wofür das britische Label, neben all den entschleunigten Dronekünstlern, allen voran Dalhous, Nina oder Bremen, steht: kompromisslose, nihilistische Ritualmusik, die stets überrascht und aufweckt, wenn nicht sogar verstört.

Der Name des Labels ist Programm, jetzt mal abgesehen von der Ambivalenz zwischen ironischem Seitenhieb und musikästhetischer Exaktheit. Es geht nicht einfach um ein Schwarz, es geht um den schwärzesten aller möglichen Schwarztöne. Eine Musik, die sich in ihrer Verweigerung von Konventionen, ihrer Atonalität und Lust am Exzess bestens zur Katharsis eignet.

Sowohl Black Rains „Dark Pool“ und die jüngste EP von Killing Sound als auch „Festival Of The Dead“ transportieren den Hörer in eine andere Welt, seien es Science-Fiction-Dystopien, paranoide Innenwelten oder verschwommene Tagträume aus der eigenen Jugend. Diese Musik ist neben allem Eskapismus immer auch eine Huldigung an das Chaos der Gegenwart. Musik, bei der alles ein wenig erträglicher erscheint.

Label: Blackest Ever Black
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