Das Konferenzprogramm der Berlin Music Week

Foto von ByteFM-Moderator Klaus Walter, der im Rahmen des Konferenzprogramms der Berlin Music Week sprachByteFM-Moderator Klaus Walter (rechts im Bild) bei der Berlin Music Week

Es war eine Floskelschlacht. Das ist für Konferenzen an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik nicht ungewöhnlich – auch wenn es um die Kunstform geht, ohne die „das Leben ein Irrtum“ (Nietzsche) sei. „Wir müssen ja sehen, dass die Brötchen ins Haus kommen“, heißt es auf der Eröffnung der Word-Konferenz auf der Berlin Music Week – was zum Mantra der Veranstaltung werden sollte.

In den nächsten 47 Stunden wird es vor allem um die Geburtswehen der digitalen Musikindustrie gehen – und um die Frage, wie nicht nur die Musikindustrie, sondern auch die Künstler selbst heute noch an ihre – bitte entschuldigt – Brötchen kommen. Im Zentrum steht vor allem das Streaming, das in den letzten Jahren die einzige Möglichkeit war, dem Trend zur allgegenwärtigen Kostenloskultur der Musikhörer zumindest ansatzweise entgegenzutreten. Doch während die Managerin der Videoplattform Vevo Tina Funk vom Streaming vor allem wegen des enormen Entdeckungspotenzials überzeugt ist, donnert Dieter Meier von Yello, der zwischen ihr und Dr. Ulrich Schmitz vom Springer-Verlag sitzt, leidenschaftlich dagegen an. „Musik funktioniert doch heute nur noch unter schwerster Selbstausbeutung.“ Das darauf rauschender Applaus folgt, ist beruhigend. Nicht alle gehören zu den Bösen.

So ist die BMW nicht nur selbstverliebter Catwalk der Musikindustrie, sondern auch eine Arena für Kontroversen – und lässt Gegenpositionen aufeinanderprallen – etwa zwischen dem überoptimistischen BWL-Sprech und der dialektischen Skepsis des popkulturellen Prekariats.

Gute Popkultur entsteht immer aus der Sehnsucht, aus einem Gefängnis auszubrechen, wie der Musikjournalist und ByteFM-Moderator Klaus Walter weiß. Zusammen mit Marcus Engert, Chefredakteur von detektor.fm, diskutiert er über die Produktionsbedingungen von Popkultur. Heute, im Zeitalter einer längst überwundenen Postmoderne, in der das Kulturelle nicht nur jederzeit verfügbar ist, sondern auch nebeneinander existiert, sei das größte Gefängnis die Selbstausbeutung. Walter, der sich kritisch mit den kulturellen und sozialen Bedingungen von Popkultur auseinandersetzt, findet es eigentlich „larmoyant“, zu jammern, denn Pop habe trotz der immer miserabler werdenden Produktionsbedingungen auch heute noch mit Genuss zutun. Nach der Absetzung der legendären Sendung „Der Ball ist rund“ im Hessischen Rundfunk, die vielen Hörern popkulturelle Erweckungserlebnisse bescherte, spricht Walter über ByteFM als eine Arbeitsstelle für Profis, die im „Praktikantenmodus“ arbeiten. Der Charme des Unperfekten, wie das nicht herausgeschnittene Hundebellen im Hintergrund, sei manchmal vielleicht amüsant, aber langfristig eher störend. Trotz der düsteren (Selbst-)Kritik waren sich Walter und Engert zum Schluss einig, dass der Popdiskurs, also das Reden und Diskutieren über neue Musik, immer noch eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung hat. Denn Pop ist immer noch die beste Möglichkeit zur Selbstermächtigung, bei der jeder mitmachen kann.

Von nichts anderem handelte der Vortrag des britischen Musikjournalisten Adam Harper, bei dem er einen neuen musikalischen Trend vorstellte, den er als Hi-Tech bezeichnet. Im Vergleich zur Low-Tech-Ästhetik der 90er, also warmen, nach Authentizität lechzenden Klängen inklusive Nostalgiemodus, bestehe Hi-Tech vor allem aus einer digitalen, metallischen Kälte und rauen, oft tragikomischen Zukunftsvisionen. Eine Ästhetik, die einige obskure Stile hervorgebracht hat, wie etwa Nightcore, Queer Rap oder Vaporwave, das musikalisch irgendwo zwischen trashiger 80er-TV-Soundtracks und stimmungsmodulierender Fahrstuhlmusik angesiedelt ist – und längst nicht mehr nur in der Nische stattfindet, wie der Erfolg von Künstlern wie Oneohtrix Point Never oder James Ferraro zeigt. In vielen Songs verstecken sich zudem subversive Botschaften wie leichte verfremdete Werbejingles oder Klänge des digitalen Alltags wie etwa der Skype-Sound. Denkt man dies weiter, so findet hier eine Umkehr der Popmusikthese statt. Denn die Musik der oft sehr jungen Künstler ist kein Ausbruch aus einem Gefängnis mehr, sondern eine Überaffirmation an eine digitale, durchkommodifizierte Klangumwelt.

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