The Cinematic Orchestra – „The Cinematic Orchestra Presents: In Motion Pt. 1“

Cover von The Cinematic Orchestra – „The Cinematic Orchestra presents: In Motion Pt. 1“

The Cinematic Orchestra – „The Cinematic Orchestra presents: In Motion Pt. 1“ (Ninja Tune)

7,6

Seit Jahren wird die Musik von The Cinematic Orchestra unter Filme, Disneyproduktionen und Naturdokumentationen, aber auch amerikanische Serien und Werbefilme gelegt. Doch das Orchester um den englischen Produzenten und Songschreiber Jason Swinscoe ist viel mehr als nur Soundtrack-Klassik à la Hans Zimmer. Mit verschiedenen, begleitenden Musikern sieht Swinscoe schon von Beginn an die Verbindung von Sound und Bild als wichtigen Teil und Inspiration seiner Kompositionen. Er versucht, eine Brücke zwischen Soul, Jazz und elektronischen Elementen zu bauen, ohne auch nur in die Nähe des momentan so beliebten Electroswings zu kommen. Die Musik des Cinematic Orchestra klingt groß und tief. Nach vielen Gedanken, Gefühlen – und Bildern.

Zu den zahlreichen Gastmusikern, die Swinscoes Gruppe auf ihren zahlreichen Alben unterstützen, gehört zum Beispiel der kanadische Künstler Patrick Watson. Er sang unter anderem „To Build A Home“ und wird von manchem zum festen Arrangement des Orchestra gezählt. Eine weitere Künstlerin, die viel mit dem Orchestra zusammen gearbeitet hat, ist die US-amerikanische Soulsängerin Fontella Bass. Sie schufen zusammen zum Beispiel das groovige „Evolution“. Doch auch die Hilfe von Streicherquartetten und verschiedenen klassischen Orchestermusikern wird immer wieder in die Songs gebettet, sodass die Grupppe um Jason Swinscoe immer wieder um verschiedene Instrumente und Stile erweitert wird.

Eines der ersten Großprojekte des Cinematic Orchestra war die Neuvertonung eines Stummfilms aus dem Jahr 1929 mit Musik aus dem Jahr der Jahrtausendwende. „The Man With The Movie Camera“ zeigt Straßenszenen, Menschen, Verkehr der 20er-Jahre in einer Großstadt der UdSSR. Die Musik scheint wie dazu geschaffen, und wirft sich und den Film gleichzeitig aus der Zeit. Nach der Entstehung für die Live-Situation wurde dieser „Soundtrack“ auch auf Platte veröffentlicht und inspirierte spätere Stücke.

In diese Richtung geht auch die neue Veröffentlichung der Briten, „The Cinematic Orchestra presents: In Motion pt. 1“. Das Wörtchen „presents“ und die Auflistung der „Featurings“ dahinter, von denen eines The Cinematic Orchestra selber ist, zeigt die Richtung dieses Albums: Jason Swinscoe bat befreundete Musiker, Produzenten, Labelkollegen und ehemalige Gastmusiker seines Projekts, Kurz- oder Stummfilme neu zu vertonen oder sich von ihnen inspirieren zu lassen. Die darauf vorhandenen Stücke von The Cinematic Orchestra wurden bereits auf Konzerten gespielt, um sie nun auf dieser Platte zu bündeln und durch Vertonungen von anderen Künstlern zu ergänzen. Diese sind der sehr junge Pianist Austin Peralta, der New Yorker Folk-Musiker Grey Reverend, der das Cinematic Orchestra auch schon seit einiger Zeit live unterstützt, sowie eine Formation bestehend aus dem österreichischen Produzenten und Klangbastler Dorian Concept und dem Stamm-Saxofonisten des Orchestras, Tom Chant.

Der Einstieg in die Platte erfolgt durch das mit knapp achteinhalb Minuten kürzeste Stück vom Orchestra selbst. „Necrology“ ist ein hervorragendes Intro und wird nur durch zwei weitere Produktionen der Presenter selbst ergänzt. Eine davon ist „Entr’acte“ – ein wundervolles Stück, man traut sich nicht, es so zu nennen, es sind schließlich mehrere „Lieder“, die sich ineinander zu einer 20-minütigen Komposition fügen und voller Bilder und Emotionen stecken. Es wurde komponiert zum gleichnamigen Kurzfilm von René Clair aus dem Jahr 1924 und schon im letzten Herbst gezeigt und live gespielt. Die Mitte von „In Motion pt. 1“ bilden vor Beginn dieses langen Riesenmusikstücks die eher ruhigen Beiträge von Austin Peralta und Grey Reverend, sowie das in zwei Stücken erfolgende Zusammenspiel des in Deutschland bekannteren, österreichischen Produzenten elektronischer Musik Dorian Concept und des Jazzers Tom Chant, das deutliche Free-Jazz-Züge trägt, welche den inspirierenden Kurzfilm „Outer Space“ von Peter Tscherkassky, erst 1999 veröffentlicht, vermutlich gut ergänzen.

Es ist allerdings schwierig, diese Musik als Platte zu beurteilen. Was aus den vorherigen Produktionen des Cinematic Orchestra bekannt ist, nämlich, dass man unwillkürlich Bilder im Kopf hat, überlegt, in welchem Film diese so cineastisch angelegten Kompositionen Verwendung finden könnten, ist hier verkehrt. Es gibt Vorbilder. Obwohl sie weder aus der gleichen Zeit noch aus dem gleichen Themenbereich stammen, erhält das Album mit den Ergebnissen der unterschiedlichen Musiker eine homogene Grundstimmung und ist trotz unterschiedlicher Schaffenden ein Ganzes – auch wenn der visuelle Part nicht mitgeliefert wird.

Letztlich sind es aber zwei verschiedene Paar Schuhe: Man schaue sich die neu vertonten Stummfilme an (was auf einigen Videoportalen sogar möglich ist, siehe unten) und erfreue sich an dem Zusammenspiel, oder aber man höre nur die Vertonungen, wozu man mit dieser Veröffentlichung ja regelrecht gelenkt wird. Zweiteres gelingt dabei ebenfalls ausgesprochen gut, und schafft dem Hörer die Möglichkeit, seinen eigenen Film zu sehen.

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