Innovator und Superstar – Zum 85. Geburtstag von Miles Davis

Im Kontext der amerikanischen Musikgeschichte nimmt Miles Davis eine Sonderstellung ein. Der Musiker, dessen Karriere von den 40er Jahren bis in die frühen 90er andauerte, ist als genialer Trompeter und stilbildender Innovator genauso bedeutend wie als Sound-Visionär, als Entdecker neuer Talente, als afro-amerikanische Ikone und als Künstler, dessen eigenwilliger Charakter immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Status Quo erzwang und so neue Paradigmen erschuf, sowohl im musikalischen Sinne wie auch als Persönlichkeit.

Im Gegensatz zu manchen seiner Jazz-Kollegen steht Miles Davis nicht in erster Linie für handwerkliche Virtuosität. Der Trompeter war vielmehr ein Meister der musikalischen Stimmung, ein magischer Künstler, der zwar auch über eine brillante Spieltechnik verfügte, aber noch viel mehr über die Gabe, den verschiedenen Jazz-Genres, in denen er über die Jahre spielte (wenn er sie nicht selbst begründete) seinen eigenen Stempel aufzudrücken, der irgendwo zwischen Blues und Moderne, Großstadt und Übersinnlichkeit, zwischen cooler Pose und tiefer Leidenschaft eine eigenen Raum einnimmt.

Miles Davis’ Karriere zeichnet sich bereits früh ab. Noch als Teenager ohne Schulabschluss war Davis bereits gefragter Sessionmusiker bei Gigs durchreisender Bands, die in East St. Louis gastierten, wo Davis als Sohn einer wohlhabenden Familie aufwächst. Als Zahnarztsohn hat Davis keine Entbehrungen zu erleiden. Und so erfüllt sich hier nicht das Klischee des mittellosen Schwarzen, der sich mit naturgegebenem Talent seinen Weg „nach oben“ macht. Zeit seines Lebens verachtet Davis diese stereotype Rolle, die Schwarzen in den USA automatisch zugerechnet wurde, und besteht auf seiner gleichberechtigten (privilegierten) Herkunft, eine Einstellung, die in den USA vor allem vor der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre problematisch werden konnte. Auch als bereits international gefeierter Star sieht sich Davis rassistischen Nachstellungen ausgesetzt, so zum Beispiel, wenn er mit seinem Ferrari von der Polizei angehalten wird, weil man einem Schwarzen nicht zutraut, sich so ein Auto leisten zu können.

1944 geht Davis nach New York, um auf der renommierten Juilliard School ein Musikstudium zu absolvieren. Doch bald wird er stattdessen der Ersatz für Dizzie Gillespie in der Band von Charlie Parker und eine Jazz-Karriere ohne Gleichen nimmt ihren Lauf.
Die Künstler der BeBop Ära sind die ersten Jazz-Musiker, die mit der traditionellen Rolle des Jazzmusikers als reiner Unterhaltungskünstler brechen. Statt musikalischer Dienstleister für Tanz und gefälliges Vergnügen zu sein, spielt nun die Erforschung neuer Sounds die entscheidende Rolle. Das Publikum darf teilhaben, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt, als Charlie Parker und Co. ihre „Autorenschaft“ entdecken.

In den nächsten Jahrzehnten ist Miles Davis immer (mit Free Jazz als prominenter Ausnahme) präsent, wenn sich im Jazz eine neue Entwicklung abzeichnet. Oft sind es seine Platten, seine Bands, die diesen Sound als erste darbieten. So spielt Miles Davis 1949 eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Cool Jazz. Sein Album „Birth Of The Cool“ zeig ihn als Leader einer 9köpfigen Band, die einen Sound „erfand“, der später zu Davis’ Leidwesen oft vor allem dem (weißen) Davis-Mitmusiker Gerry Mulligan (und dem ebenfalls weißen Dave Brubeck) zugerechnet wurde. Davis arbeitete hier zum ersten Mal mit dem Arrangeur Gil Evans zusammen, mit dem er in den folgenden Jahren einige seiner bekanntesten Platten aufnehmen würde.

Anfang der 50er verschlug es Davis wie so viele andere Jazzgrößen für eine Zeit nach Paris, wo in einer weniger rassistisch geprägten Gesellschaft Jazz mit großer Hochachtung goutiert wurde. Hier hat Davis eine Affäre mit der Schauspielerin und Sängerin (und Existenzialisten-Ikone) Juliette Gréco.
Angeblich auch wegen der Trennung von Gréco (und von seiner ersten Ehefrau und Mutter zweier seiner Kinder), aber wohl vor allem wegen der deprimierenden Realität als in der indifferenten Heimat wenig geachteter Jazzmusiker (und vielleicht auch, weil große Teile der damaligen Jazz-Szene ebenfalls „drauf“ sind) wird Davis bis Mitte der 50er Jahre heroinabhängig.

Seiner Karriere tut die Sucht zunächst keinen Abbruch. Davis nimmt als inzwischen bekannter Bandleader diverse Alben für Prestige Records und Blue Note auf, prägt die Hard Bop Szene jener Jahre. Er entwickelt seinen berühmten „Dämpfer-Sound“ und erhält den Spitznamen Prince Of Darkness als Anerkennung seines düsteren, melancholischen Stils.
Mitte der 50er befreit sich Davis von seiner Heroinabhängigkeit und gründet sein erstes legendäres Quintett. Als noch unbekannte neue Talente stehen ihm für die nächste Jahre der Saxophonist John Coltrane, Pianist Red Garland, Bassist Paul Chambers und Drummer Philly Joe Jones zur Seite. Allesamt ihrerseits später stilbildend und legendär.
Miles Davis’ Genie in der Besetzung seiner Bands ist eine seiner bemerkenswertesten Eigenschaften. Die Liste seiner Mitmusiker liest sich wie ein Who Is Who der Jazzgeschichte. Kaum ein Saxophonist, Pianist, Bassist und Drummer aus der Top-Riege der 50er bis 70er Jahre, der nicht bei Miles seine Sporen verdient hätte.

Miles Davis gewöhnt sich in dieser Zeit an, bei Konzerten dem Publikum den Rücken zuzuwenden und wird zu einem Stilvorbild der Coolness und zu einem frühen Sinnbild des selbstbewussten Afro-Amerikaners, nicht zuletzt aufgrund seines modischen Auftretens.
Das „erste große Quintett“ bricht aufgrund der internen Probleme, die er Drogenkonsum einiger Musiker verursacht, nach einiger Zeit auseinander. Davis reist nach Frankreich, um dort den Soundtrack für Louie Malles Nouvelle Vague Klassiker „Fahrstuhl zum Schaffot“ aufzunehmen (in einer improvisierten Live-zum-Film Session, die als Klassiker der Soundtrack-Geschichte gilt) und nimmt in der Zeit danach in den USA einige seiner bekanntesten Platte auf. Mit Gil Evans und dessen Orchester entstehen unter anderem eine Einspielung von Songs aus George Gershwins Oper „Porgy And Bess“, sowie das Album „Sketches Of Spain“, das Davis im Kontext klassischer Kompositionen hören lässt.

1959 entsteht das vermutlich bekannteste Werk Davis’, „Kind Of Blue“. Das Album ist ein Meilenstein des Jazz, der modale Stil eine Innovation die dem Vokabular des Jazz einen neuen, modernen Dialekt abringt. Als Mitmusiker und Mitkomponist steht Davis hier seinerzeit der Pianist Bill Evans zu Seite, der die damalige Miles-Band mit John Coltrane, Canonball Adderley, Paul Chambers und Jimmy Cobb ergänzt (genauer gesagt ersetzt Evans vorübergehend Wynton Kelly).
„Kind Of Blue“ ist bis heute eine der erfolgreichsten Platten der Jazzgeschichte.
Mitte der 60er sammelt Davis um sich das „zweite große Quintett“ in der Besetzung mit Saxophonist Wayne Shorter, Pianist Herbie Hancock, Bassist Ron Carter und Drummer Tony Williams.
Während die Kritiker damals wie heute diesem Quintett höchste Anerkennung zollen, lässt der kommerzielle Erfolg von Davis’ Platten in dieser Zeit nach.

1967 trifft Miles Davis seine künftige Ehefrau Betty Mabry, die ihn mit jazzfremder Musik wie Jimi Hendrix und Sly Stone konfrontiert und Davis beginnt, im Studio mit elektrischen Instrumenten zu experimentieren. In den nächsten Jahren entwickelt sich so in Miles Davis’ Studioarbeit langsam das, was als Fusion bekannt werden würde und als Jazzrock in den 70ern ein eigenständiges Genre sein sollte.
Die Platte „Bitches Brew“, auf der Davis mit erweiterter Besetzung (E-Gitarre, drei Keyboarder, zwei Drummer, Perkussion) arbeitet, wird ein Meilestein dieser Entwicklung und wiederum eine der erfolgreichsten Jazz-Platten der Musikgeschichte.

Mit „Bitches Brew“ hat sich Miles endgültig von der BeBop Tradition gelöst. Er engagiert E-Gitarristen wie Jon McLaughlin und entwickelt mit seinem langjährigen Produzenten Teo Macero Platten wie „A Tribute To Jack Johnson“ aus Zusammenschnitten diverser Spuren verschiedener Sessions. In den nächsten Jahren spielt Miles immer öfter mit Musikern aus jazzfremdem Kontext zusammen. Live Konzerte werden zu mehrstündigen Improvisationen. Miles verwendet irgendwann ein Wah-Wah Pedal, um seine Trompeten-Sounds zu manipulieren und setzt im Studio immer mehr Effekte ein Die immer komplexer werdenden Platten, oft Live-Mitschnitte, die als Doppel-Alben 40 minütige Stücke über jeweils zwei Plattenseiten ausbreiten werden zunehmend schwerer zu verkaufen. Kritiker verreißen Platten wie „On The Corner“ von 1972 (heute hoch angesehen) und Miles’ Vision, Jazz wieder als „hippe“ Musik für ein jüngeres Publikum relevant zu machen, scheint gescheitert.

Als seine Plattenfirma Columbia sich 1975 dagegen entscheidet zwei von drei gleichzeitig in den Markt kommenden Miles Live Alben außerhalb Japans zu veröffentlichen, zieht sich Miles Davis für sechs Jahre aus dem Musikbusiness zurück.
Geplagt von Krankheiten, Alkohol- und Kokainmissbrauch verbringt Miles fast die gesamte Zeit eingeigelt in seiner Wohnung.

Als er 1981 mit einer neuen Platte herauskommt, hatten viele ihn längst abgeschrieben. Doch zeigt sich, dass Miles’ künstlerische Vision inzwischen den richtigen Kontext hat. Im Post-Punk, Punk Funk geprägten Sound der 80er kann er mit einer zunehmend melodiöseren Version seiner Crossover-Experimente wieder nahtlos an die Gegenwart anschließen und veröffentlicht in den 80ern eine Reihe viel beachteter Platten. Das Album „Tutu“ ist zunächst als Zusammenarbeit mit Prince geplant, auf „You’re Under Arrest“ covert Miles Cindy Lauper und Michael Jackson. Mit den Gitarristen Mike Stern und John Scofield, dem Saxophonisten Bill Evans, dem späteren Rolling Stones (und Sting) Bassisten Darryl Jones und vielen anderen finden sich wieder etliche Ausnahmemusiker an ihrem Karrierebeginn beim Miles und mit Marcus Miller einer der einflussreichsten Fusion-Produzenten (und Bassisten) der 80er und 90er an seiner Seite. Die späten Konzerte sind ungebrochen populär und als Miles Davis 1991 stirbt, ist er als Jazz-Superstar unangefochten.

Die School of Rock mit Christian Tjaben würdigt am 26.05. um 13:00 Uhr Miles Davis mit einer Sendung. Bereits gesendet und im Archiv abrufbar ist eine Ausgabe von Götz Bühlers „Die Runde Stunde“ zum selben Thema.

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Miles Runs The Voodoo Down – freeQnet
    Mai 26, 2011 Reply

    […] nach. Bevor ich versuche, selbst viel in Worte zu fassen, verweise ich doch lieber auf den schönen Geburtstags-Post auf Byte.fm und lege jedem Interessierten noch mal sehr die Autobiografie des Großmeisters ans Herz! […]

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