M.I.A. Video "Born Free": Rote Haare, kurzer Versand


Skandal ist, was Skandal macht. Ein neues Video ist unterwegs und hat schon die ersten Hürden (Verbot auf You Tube) genommen, um den Sprung in die News Charts zu schaffen, wo sich ansonsten mit Popularkultur wenig beschäftigte Menschen dann reflexartig in ihre Kommentar-Gebetsmühlen erbrechen können.
Vorschläge für die Artikel-Tendenzen: – Jugendliche werden in Popvideo erschossen und zersprengt. – Neue Stufe des Gewaltsexzesses in Videoclip. – Künstlerische Hemmschwelle bzgl. visueller Brutalität weiter gesunken. – Tamilisch-britische Künstlerin mit Wohnsitz New York heizt Anti-Polizei Stimmung vor dem 1. Mai auf. Usw..

Tatsächlich zeigt das M.I.A.-Video zu „Born Free“ die grafischste Menschensprengung im Clip-Biz, seit Jonathan Glazer für UNKLEs „Rabbit In Your Headlight“ den Schauspieler Denis Lavant zerfahren ließ. Aber abgesehen davon, dass man so etwas nicht unbedingt den ganz jungen Mediennutzern unter uns zumuten mag, kann das 2010 wirklich noch schockieren? Ist eine eher einfach gestrickte Erzählung von totalitären Schergen, die in Brutalo-SEK Manier Rothaarige einkassieren und deportieren, um sie dann in irgendeiner Wüstenlandschaft durch ein Minenfeld zu jagen, nicht eigentlich nur ein verdammt gut budgetierter Kurzfilm-Job, mit dem man zwei Fliegen mit einer viral verbreitbaren Klappe schlägt: Album-Promo und Bewerbungsdemo für Spielfilmprojekt?

Immerhin dauert es etliche Minuten und eine inszenatorische Abfolge diverser Szenen, bis dann Kopfschuss und Slo-Mo Menschen-Explosion jenen Härtegrad der Darstellung markieren (nach unzähligen Uniformierte-schlagen-willkürlich-auf-Wehrlose-ein Szenen allerdings), der „Born Free“ zum Objekt einer unausweichlichen Gewaltvideo-Diskussion machen wird.
Dabei hat man die klare Aussage des Films schnell begriffen: Rassismus, Ausgrenzung, Apartheid in Kombination mit paramilitärischer Exekutive sind eine ganz fiese Nummer. Das ist erstmal so schon ganz richtig und in vielen Gesellschaften der Welt sicherlich auch ein Problem. Als Sujet für us-amerikanische oder europäische Medienprodukte ist das allerdings auch ein irgendwie abgehangenes Klischee, eine banale Projektion von Schweinebullen und Opfern, ohne in weiterführender Form zugrunde liegende Mechanismen aufzuzeigen. Aber uniformierte, sadistische Befehlsempfänger sind natürlich ein universell brauchbares Feindbild und die Geste des Widerstands immer ein übergreifend einsetzbares Motiv, egal ob man über die USA, Sri Lanka oder die Banlieues redet.
So gesehen ist „Born Free“ ein ziemlich plattes Fanal gegen „Unfreiheit“, was auch immer man damit genau sagen will. Ausgegeben hat dieses Fanal ein Team, das für diese Art der Ausführung bereits bekannt ist und nun erstmals gemeinsame Sache macht.

Und da haben sich zwei gefunden: Die Sängerin / Produzentin / Labelbetreiberin / Designerin (im folgenden Künstlerin genannt) M.I.A. und der Regisseur Romain Gavras. Während sich M.I.A., die letztes Jahr Mutter wurde, diesen Sommer mit einem neuen Album zurückmeldet, für das „Born Free“ der erste Vorbote ist, hat Romain Gravas zuletzt 2008 die Gemüter erhitzt, als er im Clip zu Justice’ „Stress“ eine Horde dunkelhäutiger Vandalen durch die Pariser Strassen schickte. M.I.A. familiärer Hintergrund als Tochter eines prominenten Führers der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung (der allerdings längst eine Institut für Nachhaltigkeitsforschung in Großbritannien leitet) war von Anfang an der Backdrop, vor dem die multimedial Begabte ihre ghetto-technoiden Entwürfe zeigte: Dritte Welt Flair, Revolutionspose, Gewalt-Metaphern, Raver-Neon und viel Bass, Beats und Attitüde haben aus der 35jährigen längst eine Gegenkultur-Gaga gemacht, die genauso unangepasst agiert wie sie genau deswegen Erfolg hat, Goldene Schallplatten, Oscar und Grammy Nominierungen inklusive.

Auf ihrem Label N.E.E.T. bringt sie inzwischen selber andere Künstler heraus (Rye Rye, Sleigh Bells u.a.) und mit dem dritten Album dürfte sie noch größere Bekanntheit erlangen als mit den ersten beiden Platten, „Arular“ (2005) und „Kala“ (2007). Ob ihre eigene Familie mit dem Spross des milliardenschweren Bronfman-Klans, Ben Brewer, allerdings wirklich noch vom ganz großen Revolutionspotential spricht, darf gefragt werden. Genauso wie man das Erbe, das Romain Gavras weiterträgt, einer gewissen Oberflächlichkeit bezichtigen kann, wenn man seine sensationalistischen Filme über Randgruppen vergleicht mit den Politfilm Klassikern, die sein Vater Constantinos „Costa“ Gavras gedreht hat (am bekanntesten wohl das Frühwerk „Z“ mit Jean-Louis Trintignant und Yves Montand und „Missing“ mit Jack Lemmon), der sich seinerzeit mit real existierenden Regimes in beispielsweise Griechenland oder Südamerika anlegte und mit seinen Film Bewusstsein für Unrecht schaffte, dessen Opfer sonst keine Stimme gehabt hätten.

Heutzutage verleiht eben manchmal der Tonfall des irgendwie empfundenen Unrechts etwas seine Stimme, das eigentlich nur auf sich selbst verweist. Aber die Welt ist eben auch nicht mehr dieselbe wie vor 30, 40 oder 50 Jahren, als noch große ideologische Schlachten in der Kunst zu schlagen waren. Heute ist man „Meme Warrior“ und versucht mit seinem Output Einfluss zu nehmen auf die Art, wie die kollektive Wahrnehmung in Medien und anderen Kommunikationskanälen funktioniert. Und in die eskapistische Welt von Pop, Mode und Kultur dann immer wieder ästhetische Pfeile zu schießen, in denen es unschön ist, wo Gewalt zu sehen ist, wie sie jederzeit an einem geopolitischen oder sozialen Brennpunkt eurer Wahl passiert, ist dann eben auch wieder legitim, wenn auch nicht wirklich von tieferer Bedeutung. Wie sagte ein offensichtlich derzeit stark verunsicherter Werber neulich auf dem Kongress der Leadawards: Man wirft mittlerweile seine Botschaften ins Internet wie Steine in einen See und hofft, dass sie die richtigen Wellen machen. So gesehen ist es sinnig, dass das Musikstück „Born Free“ den Titel „Ghost Rider“ von Suicide samplet. Als Geisterfahrt ist „Born Free“ aber allemal ein 9minütger Ritt, den man machen kann. Es wird ja niemand gezwungen, sich das anzusehen.


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  • 29.04.: "I like his whole shit, man"
    Sagt zumindest Gonjasufi auf Pitchfork. Freundschaftsbuchähnlich wird Sumach Ecks (so heißt er richtig, interessiert aber scheinbar niemanden) zu verschiedensten Lieblings-Dingen befragt. Außerdem erscheint eine neue Ausgabe des OPAK Magazins, "Techno sitzt heute im Stadtrat" und M.I.A.'s "Born Free"-Video wird kommentiert. Zudem wurde Steven Drozd von den Flaming Lips ins Krankenhaus eingeliefert....


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