Picastro – „Become Secret“
VÖ: 05.03.2010
Web: www.myspace.com/picastro
Label: Monotreme Records
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Ach, immer diese kleinen Kulturschocks. Wo – bitteschön – ist denn das von vorherigen Veröffentlichungen bekannte (und geliebte) schleppende und schepppernde Schlagzeug? Aber mit einem solch profanen Ansatz darf man der Musik von Picastro gar nicht begegnen. Dank Monotreme Records bekommen wir in Europa jetzt offiziell Zugang zu „Become Secret“, dem seit 2002 vierten Album des losen Musiker-Kollektivs um Sängerin, Gitarristin und Cellistin Liz Hysen aus Toronto. In Kanada ist „Become Secret“ auf Vinyl bereits im September 2009 bei Blocks Recording Club erschienen, einer sehr kleinen, von Künstlern in Eigenregie betriebenen Plattenfirma, deren Mitarbeiter „ehrenamtlich“ – also ohne Bezahlung – tätig sind. Erhebliche finanzielle Unterstützung hat Blocks Recording Club beispielsweise von Owen Pallett erhalten, der einst auch vorübergehend Mitglied bei Picastro war.
Viele Künstler und Bands erleben in ihrer musikalischen Entwicklung einen Konsoldierungsprozess, Ecken und Kanten werden – womöglich unbewusst – im Laufe der Zeit abgeschliffen. In der Rückschau wird deutlich, dass dies bei Picastro nicht zutrifft, scheinen sie doch mit jedem Album „unbequemer“ zu werden. Als das Debüt „Red Your Blues“ veröffentlicht wurde (2002 auf dem amerikanischen Pehr Label, 2004 dann auch bei Monotreme) war kaum zu ahnen, dass es – bis dato – das am „leichtesten“ zugängliche Picastro-Album sein würde. Aus heutiger Sicht erscheint es gar nicht mehr so windschief und träge wie seinerzeit. Die Faszination ist dennoch ungebrochen – dank dunkler Gitarrenklänge, sperriger Streicher, schräger Klavierklänge, spannender Perkussion und des verstörenden Gesangs von Liz Hysen. Auf „Metal Cares“ (2005, Polyvinyl Records) und „Whore Luck“ (2007, ebenfalls Polyvinyl) bauten Picastro ihre Stärken aus, aber auch kurze Kuriositäten in Form knarzender Instrumentals oder demo-artiger Songs ein. Drei Alben, für die Ewigkeit gemacht, nicht zuletzt auch wegen der Pop-Attitüde, dies es eben doch auf ihnen gibt.
Mit „Become Secret“ sind Picastro nun bei der Kammermusik angekommen, die ihnen in der Vergangenheit irrigerweise häufig nachgesagt wurde. Mangels Schlagzeug fehlt eines der wesentlichen Elemente des bisherigen Sounds. Entgegen einem in vielen gesellschaftlichen Bereichen weit verbreiteten Irrglauben ist „anders“ jedoch nicht notwendigerweise auch automatisch „besser“, sondern oft eben nur „anders“. Aber hier macht „anders“ durchaus Sinn, denn um die Qualitäten von „Become Secret“ zu begreifen, muss der eingefleischte Fan (ohne zu zögern hebt der Rezensent die Hand) die Gedanken an die drei Vorgänger-Alben vorübergehend verdrängen. Deren kämpferische Melancholie weicht auf „Become Secret“ nämlich nun endgültig Schwermut und Selbstaufgabe, auch wenn gelegentlich ein vergebliches Aufbegehren spürbar wird. Die Sparsamkeit der Arrangements von Stimme, Cello, Klavier, Gitarren und einzelnen elektronischen Klängen verhindert deren Sperrigkeit nicht. Die Tasten des Klaviers werden durchweg hart, ja beinahe unerbittlich angeschlagen, die Klänge des Cellos erscheinen häufig spröde und bedrohlich, Liz Hysens verschwommener Gesang schwankt zwischen Wehmut und Resignation. Der Umgang mit Worten erfolgt sparsam, sie wirken – so sie denn zu verstehen sind – dafür umso bitterer. So entsteht auf „Become Secret“ bisweilen eine ausgesprochen unbehagliche Intimität. Da passt es förmlich „ins Bild“, dass eine der typisch grausamen Zeichnungen des tschechischen Künstlers Josef Bolf das Album-Cover ziert.
Selbst wenn ein Schlagzeug hier und da Entlastung hätte bringen können, es wäre fehl am Platz gewesen. Es mag schwer fallen, „Become Secret“ auf Anhieb zu mögen. Mit jedem weiteren Hören wird jedoch allmählich klar, dass auch dieses Album für die Ewigkeit gemacht sein könnte, denn tatsächlich ist es eine ebenso beklemmende wie bedrückende Kostbarkeit.